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Das Verbot der Doppelbestrafung

Von Waldemar Hummer

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Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Das Verbot der Doppelbestrafung ist in der Europäischen Union nicht nur innerstaatlich, sondern auch völkerrechtlich und europarechtlich verankert.


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Mit der Zunahme von Formen transnationaler Kriminalität stellt sich auch die Frage nach dem Strafanklageverbrauch bei im Ausland verurteilten Straftaten.

Innerstaatlich

Das Verbot, einen Beschuldigten wegen einer bestimmten Tat mehrfach mit einem Strafverfahren zu überziehen ("ne bis in idem"), gehört zwar zum Kernbestand der Strafverfahrensprinzipien eines jeden Rechtstaates, ist aber in seiner transnationalen Geltungserstreckung eine vergleichsweise neue Errungenschaft.

Die Mehrzahl der europäischen Staaten beschränkt diesen Grundsatz auf innerstaatliche Entscheidungen - entsprechende Ausnahmen bilden lediglich die Niederlande, Spanien und Belgien, die eine zwischenstaatliche Geltung des "ne bis in idem"-Grundsatzes anerkennen.

In der Regel wird für die Anerkennung eines Strafanklageverbrauchs die rechtskräftige Aburteilung im eigenen Staat gefordert.

Diese Einschränkung ist mit den einschlägigen völkerrechtlichen Vorgaben vereinbar.

Es findet sich das Verbot der Doppelbestrafung sowohl in Artikel 4 Absatz 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK (1984), als auch in Artikel 14 Absatz 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (1966), nämlich nur in der Ausgestaltung eines Strafverfolgungshindernisses innerhalb ein und desselben Staates.

Transnational

Innerhalb der Europäischen Union ist der Grundsatz des Verbots der Doppelbe-strafung aber transnational ausgestaltet worden.

Dies geschah zum einen durch den Abschluss des Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Bestrafung im Jahr 1987 und zum anderen durch Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) aus 1990.

Auf Artikel 54 SDÜ verweist auch die "ne bis in idem"-Regelung des Artikels 50 der Europäischen Grundrechte-Charta, die im Dezember des Jahres 2007 erneut feierlich proklamiert wurde und nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ebenfalls verbindlich wird.

Nach der Überführung des "Schengen-Besitzstandes" in das Recht der EU durch das Amsterdamer Überführungsprotokoll und den Rechtsgrundlagenbeschluss des Rates vom Mai 1999 gilt Artikel 54 SDÜ auch zwischen den Mitgliedstaaten der EU - mit Sonderbestimmungen für das Vereinigte Königreich und Dänemark.

Dazu kommen auch noch die an Schengen assoziierten Staaten Norwegen, Island und die Schweiz.

EuGH

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat bereits in mehreren Verfahren zum Grundsatz "ne bis in idem" Stellung nehmen müssen, in denen es vor allem um die Frage der Anforderungen an eine rechtskräftige Aburteilung - zum Beispiel in den Fällen Miraglia, van Straaten, Gasparini - aber auch um die Klärung des Vorliegens "derselben Tat" - vor allem in den Fällen Gözütok, Brügge, van Esbroeck - gegangen war. Bei letzterem Kriterium stellte der EuGH auf das Erfordernis eines "idem factum" (dieselbe Tat) und nicht auf das eines "idem crimen" (dieselbe strafbare Handlung) ab - ansonsten müsste ein in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilter Täter nach einem Grenzübertritt befürchten, in diesem Mitgliedstaat unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt erneut verfolgt zu werden.