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Das Verbrechen der Landlords

Von Claudia Villani

Gastkommentare

Die Flutkatastrophe in Pakistan hätte bei weitem nicht so schlimm ausfallen müssen. Die Hälfte der Zerstörung haben skrupellose Großgrundbesitzer zu verantworten.


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Ich bin so betroffen, so verzweifelt, so fassungslos. Jetzt steht endgültig fest: Die Hälfte der Flut in Paki stan hätte nicht stattgefunden, wenn nicht Großgrundbesitzer (sogenannte Landlords) Dämme sprengen hätten lassen, um das Wasser so abzuleiten, dass ihre Besitztümer nicht gefährdet werden. Das heißt: Die gebauten Abflussmöglichkeiten konnten nicht wirksam werden, da das Wasser einen völlig anderen, gewaltsamen Weg übergeflossen ist.

Es wurden also Menschen vom Wasser überrascht, die nie damit gerechnet hatten. Normalerweise hätte sie das Wasser des Indus nicht gefährdet. Als Folge der künstlichen Dammbrüche sind jetzt aber Gebiete, vor allem Anbaugebiete der armen Bevölkerung, überflutet, die vom Wasser sonst nicht berührt worden wären. Jedes zweite Kind, das ich jetzt hungrig oder sterbend in einem Flüchtlingslager in meinen Händen halte, wäre also davon verschont geblieben. Es hätte nicht sein müssen.

Wenn ich diese kleinen, tapferen Menschenkinder aus ihren schmutzigen Fetzen wickle, um sie zu wiegen, bin ich jedesmal aufs Neue erschüttert. Sie bestehen wirklich nur noch aus Haut und Knochen und einem aufgedunsenen Bauch. Ich frage mich jedesmal, wie Sie es geschafft haben, bis jetzt zu überleben. Offensichtlich steckt ein unglaublicher Lebenswille in ihnen. Ich schäme mich für meine Gedanken, ob es in diesem Camp überhaupt einen Sinn hat, ohne irgendeine Zukunftsperspektive überleben zu wollen. Es ist ein hochmütiger und zugleich ein verzweifelter Gedanke. Es muss für jedes Menschenleben gekämpft werden.

13 Millionen Menschen sind im Moment direkt vom Wasser um Ihr Leben bedroht. Da spreche ich noch nicht von den Auswirkungen, die das Hochwasser auf alle hat. Das Militär hat den Befehl "Shoot at sight". Das heißt, die Soldaten dürfen schießen, auf wen immer sie es als nötig erachten. Damit ist offiziell der Rechtsstaat (hoffentlich nur im Moment) aufgehoben.

Niemand hätte die Naturkatastrophe aufhalten können. Mindestens 50 Prozent sind aber nachweislich von Menschen gemacht. Das ist kriminell, kein anderes Wort passt. Diese Landlords haben Millionen Menschen auf dem Gewissen. Sie haben ihren Profit über Menschenleben gestellt. Die Hungerkatastrophe bahnt sich jetzt schon mit ungeheuren Auswirkungen an.

Diese Tatsachen werden die Menschen zum Beispiel in Baluchistan, die von der Flut gar nicht betroffen gewesen wären, wenn in Sind nicht die Dämme gebrochen worden wären, nicht vergessen. Sie werden Rache nehmen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Krieg droht zwischen den Stämmen, zwischen den Provinzen . . .

In mir tobt es. Jetzt wird sich zeigen, ob ich Christin bin. Ob ich bereit bin, auch in meinem Herzen auf Gewalt zu verzichten. Augustinus sagte: "Vor der wahren Gelassenheit kommt der gerechte Zorn." Es ist nicht nur Zorn, es ist auch bitterste Verzweiflung darüber, wie böse Menschen sein können.

Claudia Villani arbeitet für die Dr. Ruth Pfau Stiftung als freiwillige Helferin in Pakistan (www.ruth-pfau-stiftung.de). Spendenkonto: 28422602500, Blz. 20111.

Die Tribüne gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.