Riesiger Andrang kippte den Server | 70 Jahre nach dem Massaker an polnischen Soldaten und Intellektuellen im russischen Ort Katyn hat der Kreml Geheimdokumente der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf Anordnung von Präsident Dmitri Medwedew stellte Russlands Archivdienst Akten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD ins Internet.
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Aus den Unterlagen gehe eindeutig hervor, dass der Sowjetdiktator Josef Stalin 1940 die Erschießung von etwa 22.000 Soldaten und Zivilisten in Katyn sowie anderen Orten befohlen habe, sagte Archivleiter Andrej Artisow. Polnische Politiker und russische Historiker begrüßten den Schritt. Sie fordern nun eine vollständige Rehabilitierung der Opfer.
Präsident Medwedew ergänzte am Mittwoch bei einem Besuch in Kopenhagen, die Archiv-Öffnung geschehe zur Lehre aller Menschen. Der Beschluss dazu sei etwas, das Russland der Welt geschuldet habe. Er kündigte die Freigabe zusätzlicher Dokumente über Katyn an.
In Warschau nannte der Chef des Rates für Kriegsgedenkstätten, Andrzej Krzysztof Kunert, die Freigabe einen "Durchbruch". Bisher waren die Akten nur in Polen bekannt sowie in Russland Fachleuten zugänglich. Der frühere Kreml-Chef Boris Jelzin hatte die Akten für wissenschaftliche Zwecke bereits 1992 freigegeben.
Nach Angaben von Artisow verzeichnete die Internetseite kurz nach der Veröffentlichung zwei Millionen Besucher. Zeitweise sei der Server der Behörde wegen des Ansturms zusammengebrochen. Die Veröffentlichung der Akten gilt als weiterer Schritt zur Aussöhnung in den schwierigen bilateralen Beziehungen.
Unterschriften bewiesen, dass alle Nachfolger Stalins im Kreml die Dokumente studiert hätten, sagte Artisow. "Sie nahmen das Verbrechen zur Kenntnis, dann wurden die Akten wieder versiegelt." Die Dokumente enthalten unter anderem ein Schreiben des berüchtigten Geheimdienstchefs Lawrenti Berija an Stalin über die Hinrichtung von Kriegsgefangenen und "Spionen". Moskau hatte lange behauptet, Hitler-Deutschland habe das Massaker verübt, und sich erst 1990 zu seiner Schuld bekannt. Russland sei zu völliger Offenheit über die Hintergründe der Bluttat bereit, sagte der Archivleiter.
Der Vorsitzende der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, Arseni Roginski, kritisierte, noch immer seien nicht die Namen aller Opfer bekannt. Auch die Identität der Mörder müsse endlich gelüftet werden. Im vergangenen Jahr hatte ein Moskauer Gericht eine Rehabilitierung der Opfer mit der Begründung abgelehnt, die sterblichen Überreste seien nicht hinreichend identifiziert worden. Das Oberste Gericht Russlands kippte jedoch das Urteil und ordnete eine weitere juristische Aufarbeitung des Massakers an.
Polen hatte seit langem gefordert, dass Russland alle Akten zum Massaker von Katyn der Öffentlichkeit zugänglich macht. Anfang April beteiligte sich Ministerpräsident Donald Tusk erstmals offiziell an den Gedenkfeiern zur Erinnerung an das Massaker vor 70 Jahren. Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski und mit ihm alle übrigen 95 Insassen der Maschine kamen am 10. April bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg zu einer weiteren Gedenkfeier in Katyn ums Leben.
LinkRussisches Staatsarchiv
(APA)