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Das verflixte dritte Jahr

Von Simon Rosner

Politik
Illustration: stock.adobe.com / Angelina Bambina
© Illustration: stock.adobe.com / Angelina Bambina

Warum es für die Politik immer schwieriger wird, Corona-Infektionswellen wirksam zu bekämpfen.


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Der Blick in den Kalender sagt: Es ist noch nicht Sommer. Ein Blick auf die Covid-Zahlen offenbart: Es herbstelt schon. Die Fallzahlen nehmen zu, nicht nur in Österreich. Doch es ist vor allem der Herbst, der Sorgen bereitet. Am Donnerstag präsentierte der Simulationsforscher Niki Popper verschiedene Szenarien dafür: Und alle verheißen ein sehr hohes Infektionsgeschehen, ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Allerdings mit unterschiedlich gravierenden Folgen für das Gesundheitssystem, je nach Immunität in der Bevölkerung.

Aktuell bereitet sich das Gesundheitsministerium organisatorisch auf den Herbst vor, noch im Juni sollen die Pläne präsentiert werden. Doch welche Rolle sollen und können behördliche verordnete Maßnahmen zur Infektionskontrolle noch spielen? Bei einem Pressetermin am Donnerstag blieb Minister Johannes Rauch rhetorisch vage. "Wir können nur mildern und dämpfen", sagte Rauch. Teilweise ist die Erwartungshaltung aber eine andere.

In Österreich setzt die Politik seit Beginn der Pandemie auf die Kraft der Verordnung. Gleichzeitig sorgt die Politik aber selbst für eine eingeschränkte Wirksamkeit ihrer eigenen Regeln. Zwar nicht bewusst, aber im Endergebnis, wie auch der Rechnungshof in einer Prüfung der ersten Phase des Pandemiemanagements erkannte. Er ortete unklare Kompetenzverteilung und Kommunikation, was die Glaubwürdigkeit untergrub und sich ungünstig auf die "Akzeptanz der Maßnahmen ausgewirkt", wie es im Bericht heißt.

Aber auch die steten und nicht selten parteipolitisch motivierten Debatten über die Regeln selbst könnten eine ungünstige Rolle gespielt haben. Aus der Verhaltensforschung ist bekannt, dass die Einhaltung von Regeln auch mit deren Akzeptanz korreliert. Und aus qualitativen Befragungen während der Pandemie wurde dies auch konkret für die Corona-Regeln gezeigt. Schon vor einem Jahr berichtete die Politologin Barbara Prainsack von der Uni Wien, dass die Maßnahmen damals als nicht mehr effektiv und fair wahrgenommen wurden und dies negativ auf die Einhaltung wirkte.

Der Versuch, so gut wie alle Bereiche des öffentlichen Lebens, von der Taxifahrt bis zum Museumsbesuch, mit speziellen Regeln zu versehen, führte zu Diskussionen über einzelne Paragrafen. Was bringt es wirklich, im Lokal auf dem Weg zum Klo eine Maske anzulegen? Warum ist Skifahren erlaubt, aber ein Zoobesuch nicht?

Auch bei den jüngsten Beschlüssen weidete sich die Öffentlichkeit daran, dass Pendler in der Schnellbahn ab der Wiener Stadtgrenze die Maske aufsetzen müssen. Diese Skurrilität war natürlich nicht intendiert, aber Ergebnis unterschiedlicher politischer Beschlüsse.

Nur ganz am Anfang der Pandemie gab es einen Gleichschritt. Ab Herbst 2020 wurde zunehmend das Trennende betont: Bund gegen Wien, SPÖ gegen die Regierung, die FPÖ gegen alle. Groß waren die Unterschiede bei den Maßnahmen nicht, doch der ständig betonte Dissens reduzierte die Wirksamkeit.

Dänemark kam zum Beispiel trotz weniger strenger Regeln besser durch die Krise. Es herrschte dort weitgehend Konsens über die Maßnahmen, sie wurden nicht zerredet und die Behörden genießen allgemein ein hohes Vertrauen. Weniger kann manchmal auch mehr sein, jedenfalls effektiver. Und dass Regeln generell, also auch abseits von Corona, möglichst effektiv sein sollten, ist ein Grundsatz guter Verwaltung. Dafür ist aber auch eine breite Akzeptanz förderlich bis notwendig. Aber ist es realistisch, dass die Politik, die Parteien im Parlament, Bund und Länder, einen Neustart hinlegen?

Die Maskenpflicht wirkt -aber nicht immer gleich gut

Wie wirksam die einzelnen Maßnahmen waren oder noch immer sind, ist dabei schwer zu belegen. Das macht die Steuerung und auch die öffentliche Debatte schwierig. "Es fehlt an Daten und begleitender Evidenz", sagt der Virologe Andreas Bergthaler. "Es gibt gewisse Logiken, aber es ist relativ schwierig, einer konkreten Maßnahme einen bestimmten Effekt zuordnen zu können." Bei der Maske sei dies noch am ehesten der Fall, sagt Bergthaler. Erst Ende Mai publizierten Forscher aus Oxford, Harvard und Bristol eine Studie, die bei einer Analyse von weltweit 92 Regionen eine signifikante Wirkung dieses simplen Infektionsschutzes fand.

Dass ein Mundschutz das Risiko einer Infektion bei Kontakt mit einer infektiösen Person deutlich reduziert, ist unstrittig. Das heißt nicht, dass eine verordnete Maskenpflicht immer gleich wirksam ist. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung sowie die Handhabe und Akzeptanz in der Bevölkerung an. Auch die erwähnte Studie erkannte, dass "Faktoren, die über eine Pflicht hinausgehen, die Tragehäufigkeit beeinflussen".

Politik agiert"mechanistisch"

Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien, berichtet: "Es hat sich gezeigt, dass in Ländern, die weniger Regeln hatten, die Menschen von sich aus mehr Maßnahmen gesetzt haben. Und wenn Regeln als übertrieben wahrgenommen wurden, wurden sie eher unterminiert." Die Interaktion mit der Bevölkerung sei wesentlich für ein erfolgreiches Pandemiemanagement, sagt Czypionka. Zugegeben, in einer polarisierten Gesellschaft keine leichte Übung.

Der heimischen Politik attestiert Czypionka eine "mechanistische Herangehensweise", wie er sagt. Sie beschließe Regeln und gehe davon aus, dass sie befolgt werden. "Aber gerade wenn die Maßnahmen lang in Kraft sind, bedeutet es nicht, dass sie eingehalten werden, nur weil sie einmal verordnet wurden." Wobei die Bereitschaft zur Einhaltung auch davon abhängt, als wie gravierend der Eingriff empfunden wird. Und es wird noch komplexer: Diese Wahrnehmung ist dynamisch, sagt Politologin Prainsack.

So habe das Tragen der Maske im April 2020 eine andere Bedeutung gehabt als heute, erklärt die Forscherin. In einer unter anderem von ihr publizierten Studie wird die soziale und persönliche Dimension dieser Schutzmaßnahme angesprochen. Die Maske sei für viele im Lauf der Zeit zu einem Alltagsgegenstand geworden, sagt Prainsack. Sie sieht den Entfall der Pflicht speziell in öffentlichen Verkehrsmitteln deshalb kritisch, da sich die meisten Menschen daran gewöhnt hätten. Jetzt erfolgt wieder die Entwöhnung.

In Portugal wurde trotz Welle nicht mehr nachgeschärft

Dabei ist gerade bei der Maske klar, dass sie als Werkzeug im Infektionsschutz jedenfalls erhalten bleiben wird. Auch, weil sie ein verhältnismäßig geringer grundrechtlicher Eingriff ist. "Masken sind auch deshalb so wichtig, weil wir dann insgesamt weniger Infektionskrankheiten haben", sagt Czypionka. Da das Gesundheitssystem schon bei starken Grippewellen temporär an seine Grenzen kommt, ist es naheliegend, dass die zusätzliche Belastung durch Corona zum dauerhaften Problem werden könnte.

Die Frage ist aber, in welcher Form die Maske bleibt? Als regelmäßig wiederkehrende Pflicht oder als unstrittiger Gebrauchsgegenstand wie die Zahnbürste, die vor Karies schützt? Von Zweiterem ist man in Österreich sehr weit entfernt. Und es gibt auch keinerlei zielgruppengerechte Initiativen dazu, keine Aufklärung und keine Motivation. Andererseits ist eine umfassende Pflicht, die auf breite Akzeptanz stößt, auf Dauer schwer vorstellbar. Auch in Portugal, das aktuell von einer hohen Welle betroffen ist, blieb es bei der Minimalvariante der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Spitälern. Ausgeweitet wurde nichts.

Auf andere Maßnahmen trifft das noch viel stärker zu, vor allem jene, durch die Kontakte eingeschränkt werden sollen. Darunter fallen etwa Schließungen der (Nacht-)Gastronomie, Veranstaltungsverbote bis hin zum Lockdown. Doch im dritten Jahr der Pandemie sind diese Maßnahmen jedenfalls politisch, vielleicht sogar rechtlich schwierig. Vor einigen Wochen hat der Verfassungsgerichtshof den "Lockdown für Ungeimpfte" zu Beginn der Omikron-Welle zwar bestätigt, doch er prüfte dabei die Gesetzmäßigkeit dieser Maßnahme zum Zeitpunkt ihres Beschlusses. Der VfGH schrieb: "Dass eine Maßnahme ex post betrachtet auf Grund neuer Einsichten möglicherweise anders zu treffen wäre, macht die Entscheidung nicht gesetzwidrig." Und tatsächlich gibt es mittlerweile Evidenzen, die die Wirksamkeit der 2G-Regel in Zweifel ziehen. Ab kommender Woche berät der VfGH übrigens weitere Beschwerden gegen Covid-Regeln.

Wie wollen wir mitdem Virus leben?

Für das Pandemiemanagement stellt sich ein Dilemma dar. Die Maskenpflicht allein verhindert keine Welle. Das war im Winter bei Omikron zu sehen und ist gegenwärtig in Taiwan zu beobachten, wo sogar eine sehr weitführende Maskenpflicht, die noch dazu große Akzeptanz genießt, Rekordzahlen nicht verhinderte. Theoretisch sehr wirksame Maßnahmen der Kontaktbeschränkung sind jedoch realpolitisch kaum noch durchsetzbar und auch juristisch immer heikler - zumindest so lange nicht eine völlig neue Variante auftaucht.

Dennoch gibt es bisher keine Bestrebungen der Politik, der Bevölkerung ein langfristiges Konzept zu präsentieren. Man werde mit dem Virus leben müssen, sagte Rauch. Und: Es werde wieder Maßnahmen geben. In diese Aussagen lässt sich aber alles und nichts hineindeuten. Dass in Zukunft behördlich verordnete Maßnahmen aber eine geringere Rolle spielen werden, liegt auf der Hand. Das war auch bei der letzten Welle der Fall, als es erstmals keinen Lockdown gab.

Czypionka bemängelt aber noch viel Grundsätzlicheres. "Es fehlt eine Diskussion über die Ziele dieser Maßnahmen. Wie wollen wir in den kommenden Jahren mit dem Virus leben? Wir reden immer nur über die Maßnahmen selbst, hinterfragen aber das Ziel nicht." Nachsatz: "Wie leider auch in anderen Politikbereichen."