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In den ehemaligen Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Sachsenhausen und im einzigen speziell für Frauen eingerichteten KZ Ravensbrück und dem unmittelbar daneben liegenden so genannten Jugendschutzlager Uckermark fanden über das Wochenende die Gedenkfeiern anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung durch die Rote Armee statt. Die "Wiener Zeitung" begleitete Überlebende aus Österreich nach Ravensbrück.
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Stella Nikiforowa war sechs Jahre alt, als sich für sie die Lagertore öffneten. Zwei Jahre zuvor war sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus Belgien nach Ravensbrück deportiert worden, der Vater nach Buchenwald. Stella war eines von rund 100 in Ravensbrück internierten Kindern, die am Montag ihre Lagererfahrungen austauschten. Sie wusste nach der Befreiung nur ihren Namen und dass die Familie aus Barcelona stammte, von wo sie gegen Ende des spanischen Bürgerkrieges geflüchtet war. Stella hatte auch Großeltern aus Wien und Salzburg. Aber das erfuhr sie erst, als sie 1963 ihren Vater in Brasilien wiederfand. Nach der Befreiung von Ravensbrück wurde sie von russischen Frauen in ihre neue Heimat mitgenommen, unter ihnen die Ärztin Antonia Nikiforowa, die eines der Waisenkinder aus dem Lager adoptiert hatte. Der Bub wurde später Stellas Ehemann.
Antonia Nikiforowa landete erst einmal im Gulag. 10 Jahre Haft hatte man ihr aufgebrummt, weil sie - von der SS gezwungen - Bescheinigungen mit falschen Todesursachen für erschlagene Frauen ausgestellt hatte. Erst internationale Proteste brachten Antonia nach fünf Jahren die Freiheit. Vor vier Jahren ist sie 94-jährig gestorben. Ihr Nachlass wurde nach Ravensbrück gebracht und rechtzeitig zum 60-jährigen Befreiungsjubiläum entstand eine Sonderausstellung. Eines der Ausstellungstücke: Ein Brief von Rosa Jochmann, in der offensichtliche Eile auf 1.8.1945 datiert. Er muss aber von Anfang Juli stammen, denn Rosa kündigte ihre Fahrt nach Prag und Wien an, um für die noch im Lager verbliebenen Österreicherinnen eine Heimfahrgelegenheit zu organisieren.
Unter den von Rosa Jochmann und ihrer Kameradin Friedl Sedlacek-Sinclair nach Wien Zurückgebrachten waren auch Johanna Rainer und ihr am 13. April 1945 in Ravensbrück geborener Sohn Manfred, einer von zwei österreichischen Säuglingen, die das Lager überlebt hatten. Geboren nur wenige Tage, bevor die Selektionen in Ravensbrück eingestellt worden sind, wie die deutsche Familienministerin Renate Schmidt in ihrer vielbeachteten Rede bei der Befreiungsfeier erwähnte. "Ravensbrück ist ein Ort, der uns erschauern lässt, erschauern vor den Möglichkeiten der Menschen, das Undenkbare zu tun" sagte Schmidt, die eine klare Haltung Deutschlands gegen wieder aufkeimenden Rechtsextremismus und Antisemitismus versprach.
Die war schon am Samstag in einer von jungen Frauen und Überlebenden veranstalteten Gedenkfeier in dem neben dem Frauen-KZ liegenden sogenannten NS-Jugendschutzlager Uckermark eingefordert worden, wo u.a. die bald 88-jährige Wienerin Irma Trksak und die Hamburgerin Anita Köcke ihren Leidensweg beschrieben. In Uckermark, dem vergessenen Lager, wo ab Ende 1944 der Vorhof zur Gaskammer von Ravensbrück war, erinnert kein Denkmal an die Vergangenheit. Anlässlich der Befreiungsfeiern hatten junge Frauen Blumen gepflanzt und Tafeln errichtet, eine auch für die Wienerin Käthe Anders, die nach dem Anschluss gezwungen worden war, ihre Dienststelle bei einer jüdischen Familie aufzugeben und dafür bei einer widerlichen Nazi-Familie zu arbeiten. Als ihr einmal ausrutschte "die Juden sind mir beim A... lieber als die Nazis beim Gesicht" wurde sie 17-jährig als "Asoziale" in die Uckermark geschickt.
Irene Fielman-Krausz kam als Sechsjährige aus Holland nach Ravensbrück. Zum erstenmal kehrte sie an diesem Wochenende dorthin zurück, mit ihrem Mann David, aus Südafrika. Die blonde Frau mit den strahlenden blauen Augen war als "rassisch minderwertig" nach Ravensbrück deportiert worden und erlebte in Bergen-Belsen die Befreiung - zwischen Bergen von Leichen, wie sie erzählt.
Auch aus Holland kam seinerzeit Stien Spier-Pullen ins Lager, weil sie Juden versteckt hatte. Vor Beginn der Befreiungsfeier trifft die 86-jährige auf eine andere Legende des Widerstands gegen die Nazi-Gewalt im besetzten Europa, die 90-jährige Spanierin Neus Catala. Es gehörte zu den bewegendsten Momenten dieser Tage, als die beiden mit fester Stimme das Lied der spanischen Republikaner sangen: "No pasaran" (Sie kommen nicht durch). Bewegend wie die Rede des ehemaligen sowjetischen Soldaten Jakow S. Drabkin, der 1945 als Befreier ins Lager gekommen war und der sich entschuldigte, nach seiner in perfektem Deutsch gehaltenen Rede ein paar Worte in seiner Muttersprache zu sagen. Bewegend wie die Verlesung von 45 Namen stellvertretend für alle anderen Opfer und die gleichzeitige Übergabe von roten Rosen, die später in den Schwedtsee geworfen wurde, in den die Nazis die Asche ihrer Opfer geschüttet hatten. Und bewegend wie der in Ravensbrück präsentierte Film der Regisseurin Loretta Walz - die Frauen von Ravensbrück - (es gibt auch ein Buch dazu) -, in dem Frauen aus allen Nationen über ihre Leidenswege berichten.
Für viele ehemalige Ravensbrückerinnen war es vielleicht die letzte gemeinsame Befreiungsfeier. Irma Trksak traf ihre alte Freundin Olga aus Leningrad und zufällig die aus Kanada gekommene Audrey Van Houten, die mit ihr in Rosa Jochmanns Block war. Aber wie sang die 82-jährige Esther Bejarano, die auch als Häftling in Ravensbrück Zwangsarbeit leisten musste: "Wir leben ewig". Man würde es ihnen wünschen - den Heldinnen von Ravensbrück.