Bo Xilai muss sich ab Donnerstag wegen Korruption vor Gericht verantworten.
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Peking. Zhongnanhai, das Machtzentrum Chinas, ist ein merkwürdiger Ort: Der Sitz der Regierung im Herzen von Peking versteckt sich hinter meterhohen Mauern und steht doch gleichermaßen im Rampenlicht. Etwas außerhalb, am Rande der Hauptstadt, wächst Bo Xilai auf, dessen Leben die Funktionsprinzipien des modernen Chinas illustriert wie kaum eine zweite Biografie.
Der gefallene Politstar, der sich ab Donnerstag wegen Korruption und Bestechlichkeit vor einem Volksgericht verantworten muss, verbringt schon seine Jugend im Dunstkreis der Macht - wohlbehütet und abgeschottet vom Leben der gewöhnlichen Chinesen. Er gehört als Sohn des KP-Urgesteins und Finanzministers Bo Yibo zu einer Elite, die Privilegien wie ein eigenes Schwimmbad und ausländische Marken wie Coca Cola genießen darf.
Mit 17 Jahren schließt sich der Abenteurertyp beim Ausbruch der Kulturrevolution begeistert den Roten Garden an. Doch dem von Mao angeordneten Umbruch fällt auch die eigene Familie zum Opfer: Während die Mutter stirbt, wird der Vater ins Gefängnis geworfen und gefoltert - zuvor hatte ihn der Sohn noch bei einer Massenveranstaltung öffentlich denunziert. Doch auch Bo Xilai selbst muss für den "Revisionismus" seiner Familie büßen, er wird für fünf Jahre ins Gefängnis geworfen und danach zu Zwangsarbeit verurteilt.
Mit aller Macht nach oben
Als Bo Xilai 29 Jahre alt wird, wendet sich das Blatt: Sein Vater wird pardoniert und sogar zum Vizepremier befördert, er verzeiht seinem Sohn und beginnt, ihn zu protegieren. So darf er Geschichte und Journalismus studieren und kommt zu seinem ersten Job als Mitarbeiter im Büro des Zentralkomitees, mitten im Machtzentrum des Zhongnanhai - der Ort, dem fortan alle seine Träume und Pläne gelten sollten.
Doch zunächst soll sich der junge Mann in der Provinz beweisen; er wird in die nordostchinesische Hafenstadt Dalian geschickt und dort 1993 Bürgermeister. Sein Ehrgeiz ist nicht zu übersehen: Die Stadt wird herausgeputzt und für ausländische Investoren mit steuerlichen Sonderkonditionen auf Vordermann gebracht. Allerdings kommen Geschäftsleute in Dalian nur dann zum Zug, wenn sie sich auf hohe Provisionszahlungen einlassen. Diese fließen meist über Gu Kailai, Bos zweite Ehefrau, eine erfolgreiche Anwältin und mindestens ebenso ehrgeizig wie ihr Mann. Häufig nutzt sie bei den Schmiergeldzahlungen die Dienste des britischen Geschäftsmanns Neil Heywood, eines Glücksritters, von denen es in China viele gibt. Der Mittelsmann macht sich auch um die Familie verdient, als er deren einzigem Sohn Guagua einen Platz an den exklusiven britischen Schulen Papplewick und Harrow verschafft.
Eigentlich läuft alles bestens: Bo Xilai wird zum Gouverneur der Provinz Liaoning befördert, 2004 dann zum Handelsminister der Volksrepublik. Doch in den Augen des erfolgshungrigen Ehepaares ist das zu wenig, speziell Gu Kailai drängt ihren Gatten nach ganz oben. Der ist 2007 fest davon überzeugt, beim 17. Parteikongress mindestens zum Vizepremier ernannt zu werden. Doch es kommt anders: Er schafft es "nur" ins Politkomitee der 25 Topkader, aber nicht in den Kreis der neun Entscheidungsträger des Ständigen Ausschusses. Die Partei will den flamboyanten und öffentlichkeitsbedachten Bo offensichtlich nicht im Zhongnanhai und entsendet stattdessen den ungleich vorsichtigeren Xi Jinping - den späteren Staatspräsidenten - in den Ausschuss. Für Bo eine bittere Niederlage und Enttäuschung. Und es kommt noch schlimmer: Wieder wird er in die Provinz entsandt, diesmal ausgerechnet nach Chongqing, die abgelegene Problemstadt mit 30 Millionen Einwohnern im Südwesten. Rasch wird ihm klar: Hier muss ihm etwas Sensationelles gelingen, wenn er den Sprung an die Spitze noch schaffen will.
Und so beginnt er mit dem ihm eigenen Verve, Chongqing als eine Art rotes Gegenmodell zu Peking aufzubauen: Wieder werden ausländische Investoren mit den bewährten Mitteln angelockt, die Stadt wird mit neuen Alleen und Parkanlagen aufgehübscht, hunderte Millionen werden in den sozialen Wohnbau investiert. Darüber hinaus sichert sich Bo den Applaus des linken Parteiflügels, indem er sich demonstrativ auf die maoistischen Werte rückbesinnt und in Fußballstadien "rote" Lieder singen lässt. Ein geniales Konzept, denn kein Mitglied der Partei könnte es wagen, eine solche Wertschätzung des Großen Vorsitzenden offen zu kritisieren.
Darüber hinaus inszeniert sich Bo als Volkstribun, mischt sich im Gegensatz zu anderen KP-Kadern gerne unters Volk und lässt seine PR-Berater Lobeshymnen auf ihn dichten. In einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne sagt er dem organisierten Verbrechen den Kampf an, sein alter Weggefährte Wang Lijun soll als Polizeichef in der Metropole aufräumen. Das tut er auch, doch unter den rund 5000 Verhafteten sind auch viele Unschuldige, deren einziges Verbrechen darin besteht, der Bo-Familie im Weg zu stehen. Fingierte Geständnisse werden in finsteren Verliesen unterhalb der Stadt herausgefoltert.
Gift für die Karriere
Doch bald gibt es wieder Ärger: Fotos von Sohn Guagua machen die Runde, der mittlerweile in den USA studiert und dort mit Party-Exzessen auf sich aufmerksam macht. Solche Schlagzeilen sind für eine Politikerkarriere Gift, Gu Kailai soll ihn daher zur Raison bringen. Doch die ist längst ein von Psychopharmaka abhängiges Nervenbündel, das nun zusätzlich von Geschäftsfreund Heywood unter Druck gesetzt wird: Entweder die zugesagten Provisionen werden bezahlt oder er macht die illegalen Geschäfte der Familie öffentlich.
Damit kommt der Stein ins Rollen: Im November 2011 wird Heywood von Gu vergiftet, "Superbulle" Wang Lijun konfrontiert Bo mit Beweisen für die Mordtat und wird von diesem vor versammelter Mannschaft geohrfeigt. Er flüchtet daraufhin ins US-Konsulat von Chongqing und bringt so den Fall an die Öffentlichkeit.
Nun ist es zu spät: Am 14. März 2012 posiert Bo Xilai noch einmal mit seinen Kollegen vom Politbüro für ein Gruppenfoto, er wirkt dabei abwesend und resigniert. In den Seitenflügeln der Großen Halle des Volkes warten bereits Sicherheitskräfte, um ihn abzuführen; seitdem ist er verschwunden.
Ab Donnerstag steht der wohl schillerndste Politstar der jüngeren Geschichte Chinas nun noch einmal im Rampenlicht - jedoch vor dem Volksgericht der Stadt Jinan, nicht wie ersehnt in Zhongnanhai.