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Das verpönte O-Wort

Von Alexander Dworzak

Politik

Von Obergrenzen will Merkel weiter nichts wissen. Beim CDU-Parteitag wird es deshalb Kritik geben.


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Karlsruhe/Wien. Die Jungkonservativen wollten renitent sein. Für den am Montag beginnenden Parteitag der deutschen CDU hatte die "Junge Union" (JU) im Vorfeld einen eigenen Antrag zur Flüchtlingspolitik formuliert. Darin verlangte sie die "Einführung einer Obergrenze", über die Bund und Länder mit Sicherheitsbehörden und Hilfsorganisationen beraten sollten. Der Antrag war ein Affront gegen Kanzlerin Angela Merkel. Mittlerweile scheint den Jungfunktionären selbst das Thema unangenehm zu sein: "Wir befinden uns hier in keinem religiösen Streit, bei dem es um heilige Begriffe geht", ruderte der JU-Vorsitzende Paul Ziemiak am Freitag gegenüber der Zeitung "Die Welt" zurück. Also doch nichts mit Obergrenze.

Merkel selbst sträubt sich beharrlich, Obergrenzen zu ziehen. Sie sieht zwar eine "Mega-Herausforderung", schließlich sind in diesem Jahr bereits mehr als eine Million Flüchtlinge - von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt - in Deutschland angekommen. Doch die Kanzlerin legt den Fokus auf eine europäische und internationale Lösung, insbesondere mit der Türkei. Deren in Aussicht stehende Flüchtlingskontingente bedeuten in der Praxis nichts anderes als eine indirekte Obergrenze.

Für weite Teile der CDU-Basis ist das emotional wenig. Bloß beißen sie bei der Parteiführung auf Granit. Gemacht wird die Flüchtlingspolitik von einem kleinen Kreis, das zeigte sich schön in Vorbereitung des bis Dienstag in Karlsruhe dauernden Parteitags: Während einfache Mitglieder bis Mitte November ihre Anträge abgeben mussten - heraus kamen dabei ganze 384 Seiten -, tüftelte eine Runde um Innenminister Thomas de Maizière, Generalsekretär Peter Tauber und Parteivize Julia Klöckner an einem Leitantrag zur Flüchtlingspolitik. Streng geheim, selbstredend. Sie präsentierten am Donnerstagabend den Antrag; Präsidium und Vorstand der Partei sollen ihn am Sonntag abnicken. Ebenso selbstredend fehlt dort das Wort Obergrenze, aber auch ein Verweis auf Grenzkontrollen oder die Zurückweisung von Flüchtlingen.

"Wir wollen die Reduzierung" (der Flüchtlinge, Anm.), sendet de Maizière ein Signal in Richtung der Basis. Sie erhält weitere Beruhigungspillen, darunter ein Integrationspflichtgesetz für Flüchtlinge. Diese sollen unterschreiben, dass das deutsche Rechtswesen vor der islamischen Scharia gilt und die Diskriminierung von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen nichts mit religiöser Vielfalt zu tun hat. Ohne entsprechende Bildungsmaßnahmen für die Flüchtlinge bleiben solche Unterschriften aber Placebos.

AfD in Win-win-Situation

Merkel weiß selbst, dass ihre Flüchtlingspolitik bei der Basis schlecht ankommt. Sie wird sich in Karlsruhe harte Kritik anhören müssen. Konsequenzen wird diese jedoch nicht haben. Denn nicht einmal die Wiederwahl der Kanzlerin als Parteivorsitzende steht auf der Tagesordnung. Die CDU-Mitglieder ersparen Merkel damit ein Debakel, wie es Sigmar Gabriel am Freitag erlebt hat: Nur 74,3 Prozent der Genossen stimmten bei deren Parteitag für die Wiederwahl Gabriels als SPD-Chef. Das sind desaströse Werte für einen potenziellen Kanzlerkandidaten zwei Jahre vor der Bundestagswahl. Merkel hat gegenüber Gabriel noch einen Vorteil. Sie ist unersetzlich für den Erfolg der CDU. Obergrenzen hin oder her.

Das hat mittlerweile auch Horst Seehofer eingesehen. Noch vor wenigen Wochen hatte man den Eindruck, der bayerische Ministerpräsident möchte Merkels Sturz anzetteln. Auch, dass nicht mehr 10.000 Flüchtlinge pro Woche an der bayerischen Grenze stehen, hat zur Entspannung zwischen den beiden beigetragen. Seehofer, der Obergrenzen stets das Wort geredet hatte, geht mittlerweile gar so weit, dass er sich "nicht über Begrifflichkeiten streiten" möchte.

Je ruhiger Seehofer wird, desto deutlicher hört man die Alternative für Deutschland (AfD). Für sie würden einer Forsa-Umfrage zufolge 16 Prozent der Ostdeutschen stimmen. Parteichefin Frauke Petry leitet auch den sächsischen Landesverband und kommt mit ihrem nationalkonservativen Kurs gut an; unter anderem will sie die Wehrpflicht, vor Merkel ein Kern der CDU-Identität, aufgrund der Flüchtlingskrise wieder einführen. Straft die CDU-Basis Merkel beim Parteitag ab, wird Petry sagen, die Kanzlerin agiere gegen den Willen der Mehrheit. Stellen sich die Konservativen zähneknirschend hinter Merkel, wird es die AfD als Signal deuten, wie links die CDU mittlerweile sei - hingegen sei die AfD der Hort "wahrer Konservativer".

Gerade in der AfD-Hochburg Ostdeutschland halten die Attacken auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte an. Erst diese Woche wurde im sächsischen Jahnsdorf ein Bus mit Flüchtlingen von rund 30 Personen attackiert. Für dieses Jahr weist das Bundeskriminalamt bisher 817 Angriffe auf Flüchtlingsheime aus - vier Mal so viel wie 2014.