UNO-Ziele sollen Hunger und Armut in der Welt bis 2015 halbieren. | Die Bilanz nach zehn Jahren fällt gemischt aus. | Wien. Es war ein großes Versprechen, das die Industrie- und Entwicklungsländer da gemeinsam abgaben. Menschlicher und gerechter wollten die 189 Staaten, die am 8. September 2000 in New York die "Millennium Declaration" unterzeichneten, die Welt innerhalb der nächsten 15 Jahren gestalten.
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Weniger Menschen sollten hungern, alle Kinder zumindest die Grundschule besuchen und die Müttersterblichkeit sollte nachhaltig sinken. Gleichzeitig sollte die Ausbreitung von Malaria und Aids gestoppt und die Gleichberechtigung der Geschlechter vorangetrieben werden. Und zu guter Letzt fand sich in der im massiven Blitzlichtgewitter der Fotografen verabschiedeten Erklärung auch das Versprechen, bis 2015 eine internationale Entwicklungspartnerschaft zu etablieren - inklusive des Falls von Zoll und Handelsbeschränkungen.
Dass es die internationale Staatengemeinschaft auch wirklich ernst meinte und nicht einmal mehr wenig greifbare Versprechungen abgab, sollte dabei durch die konkrete Zielformulierung demonstriert werden. Für alle acht Punkte in der Millenniums-Erklärung gibt es konkrete Prozent-Marken, die erreicht werden sollen, oft auch noch aufgegliedert in weitere Unterziele.
Zehn Jahre nach der Euphorie und dem Optimismus der New Yorker Konferenz lädt die UNO nun neuerlich in die Stadt am Hudson ein. Drei Tage lang sollen ab 20. September die bisherigen Fortschritte und Misserfolge des Millennium-Versprechens evaluiert und über die Strategien für die verbleibenden fünf Jahre beraten werden.
Doch so gelöste Gesichter und so viel Aufbruchstimmung wie vor zehn Jahren wird man diesmal in New York wohl nicht sehen. "Die Bilanz fällt gemischt aus", sagt Markus Loewe vom renommierten deutschen Institut für Entwicklungspolitik. "Einige Ziel werden global erreicht werden, einige Ziele werden nicht erreicht werden, wenn nicht noch sehr viel passiert." Deutlich verfehlen wird man vor allem die Vorgaben bei der Müttersterblichkeit. Zwar konnte die Anzahl der Frauen, die während der Schwangerschaft oder Geburt sterben, seit dem Basisjahr 1990 um 34 Prozent gesenkt werden, die Zielmarke von 75 Prozent lässt sich aber bei der gegenwärtigen Reduktionsrate nicht erfüllen. In ebenso weiter Ferne scheint das Ziel eins des Millenniumskatalogs: Mit einem Anteil der Hungernden von 16 Prozent ist man zehn Jahre nach dem New Yorker Gipfel dem Ausgangswert von 20 Prozent noch näher als dem Zielwert von 10 Prozent.
Einschulung als Erfolg
"Viele der Fortschritte, die wir in den ersten Jahren gemacht haben, sind durch die Wirtschafts- und Nahrungsmittelkrise wieder zunichte gemacht worden", sagt Renee Ernst, die Vorsitzende der deutschen Millenniumskampagne. Hinzu kommt, dass die Erfolge regional sehr unterschiedlich ausfallen. Während in Asien teilweise eine spürbare Trendwende erreicht wurde, geht die Entwicklung in vielen Ländern südlich der Sahara nur äußerst langsam voran.
Doch es gibt auch Beispiele dafür, dass Fortschritte erzielt wurden. Als einer der größten gilt dabei die massiv angestiegene Einschulungsrate, auch wenn hier das entsprechende Millenniumsziel - bis 2015 sollen alle Kinder auf der Welt die Schulbank drücken - dem Buchstaben nach ebenfalls nicht erreicht werden wird. "Wenn man sich ansieht, dass in 60 Entwicklungsländern bereits über 90 Prozent der Kinder in die Schule kommen, ist das aber sehr beeindruckend", sagt Ernst.
Für die Vorsitzende der deutschen Millenniumskampagne zeigt sich auch gerade in diesem Bereich sehr deutlich, wie stark der Erfolg vom kohärenten Zusammenspiel zwischen den reichen Geberstaaten und den Entwicklungsländern abhängt. So hatte etwa Tansania nach der Entschuldung durch den Westen die frei werdenden Ressourcen für die Abschaffung der Schulgebühren verwendet. Gleichzeitig wurden Schulspeisungsprogramme aufgelegt, die für viele Eltern ein Anreiz waren, da die Kinder auf diese Weise wenigstens einmal am Tag eine warme Mahlzeit im Magen hatten. "Mittlerweile gehen in Tansania 95 Prozent der Kinder in die Schule", sagt Ernst.
Versprechen gebrochen
Als Erfolg gilt aber auch, dass sich die Einkommensarmut deutlich verringert hat. Mussten 1990 noch 46 Prozent der Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag (ab 2005 inflationsbereinigt 1,25 Dollar) auskommen, waren es 2005 nur noch 27 Prozent, und bei der UNO geht man dementsprechend auch davon aus, dass bis 2015 die geplante Senkung um die Hälfte erreicht wird. Vor allem in Asien konnten sich viele Menschen aus der bittersten Armut befreien, während in Sub-Sahara-Afrika die Erfolge trotz des erstaunlichen Wirtschaftswachstums nur äußerst gering ausfielen.
Entwicklungsexperten wie Loewe plädieren hier zudem für eine differenziertere Betrachtung der Dinge. Denn im Vergleich zu den "gigantischen Herausforderungen" bei der Einschulung seien die Vorgaben bei der Armutsbekämpfung vergleichsweise wenig ambitioniert gewesen. "Das Ziel, das man sich hier gesetzt hat, war nichts anderes als die Fortsetzung eines linearen Trends, der seit den 1960er Jahren besteht", sagt Loewe.
Den Vorwurf mangelnder Ambitionen gibt es aber nicht nur hier. "Die monetäre Entwicklungshilfe der reichen Länder hat zwar zugenommen, aber nicht in dem Maß, das erforderlich wäre, um die Millenniumsziele zu erreichen", sagt Loewe. "Fast alle Geberländer brechen ihr 2005 nochmals erneuertes Versprechen, dass die Entwicklungshilfe bis 2015 stufenweise bis auf 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts ansteigt." Lediglich Dänemark, Norwegen, Schweden, Luxemburg und die Niederlande gaben laut einem OECD-Bericht im Jahr 2009 so viel Geld aus.
In einigen andere Ländern wurde die Entwicklungshilfe angesichts von Budgetsorgen und Sparprogrammen sogar zusammengestrichen. Deutschland, einst einer der Vorreiter, kürzte seine Mittel um 12 Prozent auf 0,35 Prozent des BIP, in Österreich gab es sogar eine Reduktion um 31 Prozent auf 0,30 Prozent des BIP, womit das Land EU-weit zu den Hinterbänklern zählt (siehe auch Seite 7) . Noch weiter zurück liegt allerdings die größte Wirtschaftsmacht der Welt: Die USA geben nur 0,2 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe aus. "Das größte Problem bei den Millenniumszielen ist der Mangel an politischem Willen", so Ernst.
Gedämpfte Erwartungen
Der mangelnde politische Wille wird allerdings auch bei zahlreichen Entwicklungsländern geortet. Korruption, Klientelpolitik und die schlechte Regierungsführung autoritärer Regime lassen die Hilfsdollars vielerorts versickern. "Und wenn diese Länder zudem auch noch über Rohstoffvorkommen verfügen und somit nicht unmittelbar auf das Geld aus dem Ausland angewiesen sind, hat man hier auch keinen Hebel, das zu ändern", sagt Loewe. "Wenn die Millenniumsziele verfehlt werden, wird das vor allem auch auf diese failing states zurückgehen." Wie viel sich mit dem nötigen Willen erreichen lässt, zeigt laut Ernst das Beispiel Malawi. Einst das Armenhaus Afrikas, wurde das ostafrikanische Land dank massiver Investitionen in die Landwirtschaft und der Ausgabe von verbessertem Saatgut und Dünger binnen drei Jahren zum Nahrungsmittelexporteur. Eine Erfolgsgeschichte, die wohl auch auf dem am Montag beginnenden Bilanzgipfel der UNO ausführlich erzählt werden wird.
Ob das Treffen in New York selbst auch zu einer solchen Erfolgsgeschichte wird, gilt allerdings als fraglich. "Das Mindeste, was wir erwarten sollten, ist dass die Millenniumsziele bestätigt werden und dass vage zusätzliche Anstrengungen versprochen werden", sagt Loewe. "Wünschenswert wäre aber, dass die Geber eine feste Verpflichtung über ihre Leistung geben und dass die Entwicklungsländer sich zu konkretisierten Versprechungen in Richtung Governance durchringen." Dass das über den frommen Wunsch hinausgeht, glaubt aber auch Loewe nicht. "Ich bin Realist und erwarte das nicht."
Dennoch sind die Millenniumsziele für den Experten vom Institut für Entwicklungspolitik aber eine Erfolgsgeschichte. "Die Entwicklungshilfe ist dadurch wieder zurück auf der Agenda. Man ist wieder bereit, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und man hat sich vor allem in den vergangenen zehn Jahren wieder darum bemüht, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch Ergebnisse zeigt", sagt Loewe. "In der Vergangenheit ging es ja oft mehr darum, dass man sein Fähnchen hochhält."