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Antimaterie ist beim Urknall verschwunden - oder doch nicht? | Experiment wirft Licht auf die Frage, warum die Erde überhaupt existiert. | Wien. Parallele Universen gibt es nicht - zumindest nicht solche aus Antimaterie. Dessen sind sich Wissenschafter des Europäischen Zentrums für Nuklearforschung (Cern) in Genf nun ganz sicher. Ihnen ist es erstmals gelungen, Atome aus Antimaterie für jeweils eine Sechstelsekunde einzufangen. Dadurch wird es möglich, die Eigenschaften von Antimaterie zu untersuchen und grundlegende physikalische Gesetze auf den Prüfstand zu stellen, berichtet das internationale Team in "Nature".
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Ähnlich wie Materie ist Antimaterie eine Substanz. Antimaterie ist aus sogenannten Antiteilchen aufgebaut - ähnlich wie normale Materie aus normalen Teilchen besteht. Die Antiteilchen unterscheiden sich aber von normalen Teilchen grundlegend, weil sie die jeweils entgegengesetzte elektrische Ladung zu den normalen Teilchen haben. Beide Formen von Teilchen haben auch weitere entgegengesetzte Quantenzahlen.
"Das Universum besteht aus Materie. Es gibt aber a priori keinen Grund, warum es nicht genauso gut aus Antimaterie bestehen könnte", sagt Claudia-Elisabeth Wulz, am Cern tätige Dozentin des Wiener Instituts für Hochenergiephysik, zur "Wiener Zeitung". Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft soll sich beim Urknall ebenso viel Materie wie Antimaterie gebildet haben. Dennoch kommen Antiteilchen im Universum nur in winzigen Mengen natürlich vor. Sie können aber künstlich erzeugt werden. Besonders gut untersuchen ließen sich die künstlichen Anti-Atome aber bisher nicht, da sie sich als äußerst kurzlebig erweisen: Sobald Anti-Teilchen auf ihr Gegenstück treffen, vernichteten Materie und Antimaterie einander unter Aussendung von Energie. "Demnach sollte es uns also gar nicht geben", so Wulz.
Warum gibt uns aber doch? Wissenschafter erklären diese Tatsache mit Unterschieden im Verhalten von Materie und Antimaterie. "Anschaulich gesagt: Wenn Sie in den Spiegel blicken, hätte das Spiegelbild kleine Unterschiede im Vergleich zum wirklichen Bild", beschreibt es die Physikerin: Antimaterie sei wie ein verwischtes Spiegelbild.
Um die Eigenschaften der Anti-Teilchen studieren zu können, muss man solche nicht nur erzeugen, sondern sie auch über einen gewissen Zeitraum einfangen. Im Rahmen des sogenannten "Alpha"-Experiments" konnten Cern-Forscher nieder-energetische Antiwasserstoff-Atome herstellen - das sind die einfachsten Anti-Materie-Atome. Weiters konnten sie diese für jeweils eine Sechstelsekunde in einer magnetischen Falle gefangen halten.
Teilchen gingen in die Falle
Damit Antiwasserstoff entstehen kann, muss sich ein sogenanntes Antiproton mit einem sogenannten Positron verbinden. Der Prozess funktioniert jedoch nur bei sehr niedrigen Temperaturen. Die Forscher kühlten daher Antiprotonen aus einem sogenannten Speicherring bis auf ein halbes Grad über dem Nullpunkt herunter und brachten sie so dazu, mit Positronen zu Antiwasserstoff-Atomen zu werden. Das Experiment fand innerhalb eines Magnetfeld-Systems statt, das wie ein Spiegel funktioniert: Sobald sich die Anti-Teilchen der "Wand" näherten, wurden sie zurück in die Mitte des Systems reflektiert und auf diese Weise eingefangen.
Als Nächstes wollen die Forscher die Zeit erhöhen, die die Teilchen in der Falle verbringen. Das soll es ermöglichen, ihre Eigenschaften zu studieren und somit das Rätsel zu lösen, wo die Antimaterie beim Urknall hingegangen ist. Was Einsichten in die fundamentale Frage bietet, warum wir existieren. "Demnächst könnten wir genau verstehen, was beim Urknall mit der Antimaterie passiert ist", sagt Wulz. Und: "Kein Experiment deutet darauf hin, dass die Antimaterie in einem Paralleluniversum verschwunden ist." Wahrscheinlicher sei es, dass sie als instabile Materie zerfällt und nur stabile Teilchen übrig bleiben.