Die Regierung will strengere Maßnahmen, sagt aber nicht welche. Aber braucht es die? Ein genauer Blick auf die Inzidenz.
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Die Zahl der täglichen Neuinfektionen bewegt sich seit Tagen im vierstelligen Bereich. Das sorgt für zunehmende Nervosität bei der Politik und Sorge in der Bevölkerung. In Salzburg werden bereits wieder Schulen geschlossen, wenn auch vorerst nur die Oberstufe. Und auch bundesweit wird es weitere Maßnahmen geben, das hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober am Donnerstagabend in der "ZiB 2" angekündigt. Welche Maßnahmen kommen, sagte er nicht. Doch was bedeuten die Zahlen genau, und was sollte die Politik überhaupt tun?
Was lässt sich aus den Zahlen herauslesen?
Die nackte Zahl der Neuinfektionen schafft es zwar fast täglich in die Schlagzeilen, sie ist aber nur ein ungenügendes Kriterium für die Abbildung des Infektionsgeschehens. Was sich aus den Bezirksdaten herauslesen lässt: Das Coronavirus zieht verstärkt aufs Land. Im Oktober ist die Inzidenz im ländlichen Raum deutlich gestiegen, besonders in den vergangenen zwei Wochen. Bezirke wie Hallein, St. Johann im Pongau, Imst, Schärding, Grieskirchen, St. Veit an der Glan und Rohrbach verzeichnen sehr starke Anstiege der Inzidenz, in den Städten, die schon im September diesen Zuwachs hatten, ist aber eine andere Entwicklung zu sehen. Das ist die gute Nachricht.
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In Salzburg, Krems, Innsbruck, St. Pölten und Wien ist die 7-Tage-Inzidenz entweder rückläufig oder stabil. In Wien wurden am Freitag mit 280 gar die niedrigsten Infektionszahlen seit mehreren Wochen registriert. Dieser Trend ist aber noch jung, er könnte jedoch ein Hinweis sein, dass die im September beschlossenen Maßnahmen wirken, zunächst aber in jenen Regionen, die bereits vor Wochen "gelb" oder "orange" waren. Klar ist: Die Wirksamkeit der Maßnahmen hängt eng von der Mitwirkung der Bevölkerung ab.
In die Ampel-Bewertung der Corona-Kommission fließen auch andere Faktoren ein. Bei der Abklärung der Cluster sinkt die Aufklärungsquote. Das ist eine negative Entwicklung, wobei das Minus hier marginal ist. Ein eindeutiges Bild bieten die Daten noch nicht. 50 Prozent gelten als kritischer Wert, Salzburg liegt hier nur mehr knapp darüber. Niederösterreich hat sich hingegen auf mehr als 70 Prozent verbessert. Diese Zahlen werden in den kommenden Wochen zu beachten sein, ebenso die Entwicklung der Spitäler. Es zeigt sich zwar auch international, dass die Hospitalisierungsrate generell sinkt im Vergleich zum Frühjahr, doch das ist auch dem intensiveren Testen geschuldet. Aber nicht nur: Nur 13 Prozent der Infizierten sind älter als 65 Jahre. Es ist aber ungewiss, ob die ältere Generation nachhaltig vor Infektionen geschützt werden kann. Da zudem viele Patienten oft erst nach Wochen ins Spital müssen, ist bei diesem Faktor die Zeitverzögerung mitzudenken. Und auch Jüngere sind vor schweren Verläufen nicht geschützt. Zwar endet Covid-19 für unter 50-Jährige ganz selten tödlich, in Wien gehören aber immerhin 47 Prozent der hospitalisierten Patienten dieser Gruppe an.
Wie sehen die politischen Reaktionen aus?
Der Bundeskanzler will von den Ländern schärfere Maßnahmen, der Gesundheitsminister hat diese auch angekündigt. Es ist aber völlig unklar, was genau kommen wird. Das wird von der Opposition auch scharf kritisiert. Jene drei Bundesländer, die bei der Ampelschaltung rote Flecken bekamen, beschlossen bereits diverse Verschärfungen (siehe nächste Seite). Die Opposition kritisiert die Unklarheit der Kommunikation der Bundesregierung. "Es ist unverantwortlich, ständig einen Lockdown künstlich herbeizureden", sagt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker mahnt "evidenzbasierte Maßnahmen ein". "Was ist das große Ziel?", fragt er. Im Frühjahr war dies, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. "Das zeichnet sich derzeit nicht ab", sagt Rendi-Wagner.
Was sagt die Wissenschaft, was sagen Experten?
Es gibt aus diversen Ländern wissenschaftliche Studien über die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen. Deren Aussagen sind aber nicht eindeutig, wie Hygiene-Facharzt Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien sagt. Das betrifft auch die Rolle der Schulen im epidemischen Geschehen. Das macht ein evidenzbasiertes Vorgehen, wie es Loacker fordert, nicht gerade leicht. Welcher Studie glaubt man? Dazu kommt ein anderer Aspekt: So manche Maßnahme kann unerwünschte Nebenwirkungen haben. Eine frühe Sperrstunde könnte etwa dazu führen, dass vermehrt privat gefeiert wird. Dadurch könnte die Rückverfolgbarkeit abnehmen.
Ein weiteres Problem sind mögliche Kollateralschäden, die mitbedacht werden müssen, zum Beispiel Kündigungen durch Betriebsschließungen; Bildungsnachteile; chronisch Erkrankte, die keine adäquate Therapie erhalten. Hier hat es im Lockdown im Frühjahr schwerwiegende Schäden gegeben. Das gilt es allerdings auch bei den Hospitalisierungen aufgrund von Covid mitzudenken. Sind die Intensivstationen einmal voll, können auch andere Notfälle nicht mehr behandelt werden.
Ein Problem, das in der kalten Jahreszeit nun deutlich mehr Bedeutung erhält, ist die Gefahr durch Viren, die in Form feinster Aerosole in Innenräumen schweben. Je mehr und je lauter gesprochen wird, desto problematischer ist es. Deshalb kommt es auch vorwiegend in schlecht belüfteten Innenräumen, in denen laut gesprochen wird, zu Superspreadings, einem Haupttreiber dieser Pandemie.
Eine Hilfe wären gute (!), mobile Luftfilter, sagt Hutter. Diese kosten etwa 1.000 Euro. Da Gastronomen derzeit finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, bräuchte es dafür wohl Förderungen. Die Kosten vieler Superspreadings wären aber wohl höher. Solange allerdings auch nicht klar ist, ob Lokale bald überhaupt sehr früh schließen oder gar geschlossen bleiben müssen, werden Gastronomen nicht investieren.