Hessens Todesstrafe-Diskurs zeigt: Vom josephinischen "alles für . . . nichts durch das Volk" hat nur das "nichts" Kaiser und Diktatur überlebt.
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ÖVP, SPÖ und Grüne reden bei ihrer Debatte über eine direktere Demokratie wieder einmal am eigentlichen Problem vorbei. Hier sei unterstellt: gewollt. Anders Hessens Landespolitiker. Sie erkennen beim Souverän, beim Volk also, einen akuten Mangel an geistiger und emotionaler Reife für Sachentscheidungen und sprechen ihn an.
Gefährlich war es schon immer, die Machthabenden zu kritisieren. Monarchen, Despoten und Diktatoren haben darauf mit Rädern, Köpfen, Verbannung oder Gulag reagiert. Heute werden Zweifel am Souverän als verfassungsfeindliche, antidemokratischer Umtriebe geahndet. Ab nun aber können sich die Zweifler auf angelobte, untadelige Politiker in Hessen berufen. In unserem zusammengewachsenen Europa ein taugliches Alibi. Es sei denn, jemand ist so vermessen und unterstellt, das österreichische Staatsvolk hebe sich positiv vom hessischen ab.
Was aber gab diesen Mandataren den Mut zu dieser Offenheit? Ein Absurdum war’s. Jenes nämlich, dass ihre Landesverfassung als historisches Überbleibsel noch immer die Todesstrafe kennt. Ohne Relevanz, denn die deutsche Bundesverfassung als Höchstinstanz tut dies nicht. Aber die Landespolitiker nervt der Racheschrei in ihrem Gesetzeswerk. Eliminieren lässt er sich allerdings so einfach nicht. Der Akt bräuchte das Placet der Volksabstimmung. Ein abscheuliches Verbrechen in Zeitnähe, und das gewollte Resultat wäre passé. Mit genau diesen Bedenken aber wird dem Volk die Kompetenz zur direkten Demokratie abgesprochen.
Und tatsächlich, unser Souverän benimmt sich auch wie ein beliebiger Duodezfürst, schätzt kurzweilige Pläsire, verachtet das üppige Bildungs- und Informationsangebot und rümpft die Nase, sollten Staatsgeschäfte Aufmerksamkeit erfordern. Die Schmeichler sind zahlreich, die diesen Dauerzustand als Politikverdrossenheit bagatellisieren, statt dem Souverän in den Hintern zu treten. Von wegen Politikverdrossenheit! Tatsache ist: Unseren Souverän langweilen Klimageschehen, Umwelt, Bildung, Gesundheit und Altersfürsorge. Und diese Apathie festigt die Macht der Einflüsterer. Sagte früher ein Metternich seinem Souverän, was er denkt, besorgt dies heute die "Krone".
Kaiser Joseph II. wusste schon, warum er sein Aufklärungswerk auch mit dem Bekenntnis "nichts durch das Volk" überschrieb. Republikanische Demokraten, beinahe wir alle also, wollten diesen Satz in der Geschichte versenken. Unsere politischen Vertreter vergreifen sich aber am anderen Leitsatz der josephinischen Aufklärung: "alles für das Volk." Nach dem Verständnis des Kaisers, weil dem anderen Satz vorangestellt, wohl der wichtigere.
Man muss kein Zyniker sein, um zu bilanzieren: Nur das "nichts durch das Volk" überlebte den kaiserlichen Aufklärer. Dieses "nichts" sichert Kontinuität in der republikanischen Demokratie. Cäsaren, Imperatoren, Diktatoren sind vergänglich. Das Volk aber überlebt sie (und uns) alle, vorausgesetzt, es unterwirft sich der Regie der Kabinette. Der Souverän Volk als eine Art republikanischer Queen also. Ein Widerspruch per se zwar, aber er trifft die Realität.