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Die ukrainische Abgeordnete Olga Bielkowa über die Arbeit im ukrainischen Parlament und Putins "Neurussland"-Vorstellungen.
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"Wiener Zeitung":Das ukrainische Parlament ist bekannt für turbulente Szenen. Wie ist - angesichts der angespannten Lage im Land - momentan die Stimmung in der Werchowna Rada?Olga Bielkova: Ich will jetzt kein illusorisches Bild zeichnen und sagen, dass alles einfach wunderbar ist. Im Parlament haben wir bekanntlich eine neue Koalition aus den drei ehemaligen Oppositionsparteien Vaterlandspartei, Udar und Swoboda. Das sind die politischen Kräfte, die mit den Menschen auf dem Maidan standen. Und es haben sich zwei neue, kleinere Gruppen formiert, eine davon aus Abgeordneten, die aus der Fraktion der ehemaligen Regierungspartei austraten. Diese fünf Schlüsselkräfte treffen als Koalition die Entscheidungen und übernehmen die Verantwortung für die Zukunft des Landes. Wir haben eine neue Regierung unter Arseni Jazenjuk geformt. Diese zeigt heute Einigkeit in der Verteidigung vor äußeren Feinden und im Handeln mit internen Herausforderungen, vor allem wirtschaftlichen. Ich bin sehr optimistisch, was die Koalition betrifft, auch wenn es natürlich Meinungsverschiedenheiten gibt. Sie kam auf der gemeinsamen Basis zustande, das Land aus der Krise zu führen.
Von vielen Seiten wird der radikal-nationalistische "Rechte Sektor" kritisiert. Es gibt Stimmen, die sagen, dass er Einfluss auf das Parlament in Kiew hätte.
Ich sehe aber überhaupt keinen Einfluss des Rechten Sektors auf die Entscheidungen des Parlaments. Wenn man die letzten Gesetzesbeschlüsse analysiert, sind das alles Gesetze, die versuchen, das Land aus der Krise zu bekommen - und zwingen dabei keine Ideologie auf, weder eine linke, noch eine rechte. Meiner Meinung nach ist der Einfluss der Radikalen völlig überzogen bewertet. Mir scheint, dass es Russland opportun erscheint, den Mythos zu nähren, dass die Ukraine gespalten sei, dass sie radikal anti-russisch eingestellt sei. Ich möchte betonen, dass fast alle Menschen in der Ukraine den Russen warm und herzlich gegenüberstehen. Aber wir tun uns natürlich schwer mit der Aggression. Wir hören auch, dass wir in der Ukraine viele Antisemiten hätten, dass die Menschen faschistisch eingestellt seien. Ich sehe das nirgendwo.
Was haben Sie gedacht, als Putin bei der TV-Show "Direkter Draht" letzte Woche plötzlich für die Ostukraine den historischen Terminus "Neurussland" verwendete?
Natürlich freut mich eine derartige Rhetorik nicht, denn die Ukraine sieht heute vor allem in die Zukunft. Und diese liegt in Europa.
Aktuell dominiert natürlich die Debatte um die Präsidentschaftswahlen in einem Monat. Wie wichtig wären Parlamentswahlen?
Das ist keine einfache Frage. Wenn die Koalition weiterhin ihre Arbeit richtig macht, dann kann man auch mit diesem Parlament weiterarbeiten. Aber der wichtigste Punkt ist natürlich, dass alle staatlichen Organe legitim sein müssen. Aus Moskau kommt ständig der Einwand, dass unser Interimspräsident Alexander Turtschinow nicht legitim sei. Deswegen ist es jetzt überaus wichtig, dass die Bevölkerung ihre Vertreter wählen kann, in erster Linie jetzt einen neuen Präsidenten. Dann ersparen wir uns diese Debatte. Und: Es gibt natürlich aus der Bevölkerung den Wunsch nach der Erneuerung aller Führungsebenen. Es ist möglich, dass Parlamentswahlen im Herbst stattfinden.
Seit der Absetzung Wiktor Janukowitschs gibt es dutzende Abgeordnete seiner Partei, die einfach nicht mehr ins Parlament kommen. Dennoch genießen sie weiter Immunität.
Leider haben wir kein entsprechendes Institut der Abberufung von Abgeordneten. Aber natürlich sollte das Volk, ihr Arbeitgeber, sie entlassen können, wenn sie ihre Arbeit nicht machen. Diese Frage ist noch offen.
Zur Person
Olga
Bielkowa
sitzt seit 2012 für Witali Klitschkos Partei Udar im ukrainischen Parlament. Davor war sie für den Wohltätigkeitsfonds des Oligarchen Wiktor Pintschuk tätig. Anlässlich einer Konferenz des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche zu zehn Jahren EU-Osterweiterung war sie in Wien.