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Das Wachstum stößt an seine Grenzen

Von Andreas Landwehr, Peking

Wirtschaft

Die Volksrepublik China ist die siebente Wirtschaftsmacht der Welt. Nur Japan hat höhere Devisenreserven. Als Handelsnation nimmt die Volksrepublik heute den elften Platz ein. Das | Wirtschaftspotenzial hat sich seit der Einführung der Politik der Reform und Öffnung unter Deng Xiaoping Ende der 70er-Jahre immer weiter entfaltet. In keinem Land der Erde werden heute mehr | Getreide, Fleisch, Baumwolle, Stahl, Kohle, Zement, Düngemittel oder Fernseher produziert.


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Die marktwirtschaftlichen Reformen haben das Bruttoinlandsprodukt seit 1978 versechsfacht. Galten einst eine Armbanduhr, ein Fahrrad, eine Nähmaschine und ein Radio als die vier Symbole des

Wohlstands, stehen heute in 100 städtischen Haushalten durchschnittlich 105 Fernseher und 91 Waschmaschinen. Unternehmer aus aller Welt träumen von einem Markt mit potenziell mehr als einer Milliarde

Konsumenten. Solche Euphorie kann leicht in Enttäuschung umschlagen. Denn der Markt konzentriert sich nur auf urbane, wirtschaftlich entwickelte Ballungszentren.

Bürokratie, schwieriger Marktzugang, Behördenwillkür und Korruption sind hohe Hürden. Ausländische Investitionen sind ein wichtiger Motor für Chinas Wirtschaft. Aus 170 Ländern fließt Geld nach

China. Von den 500 größten multinationalen Unternehmen haben dort mehr als 300 investiert. Das Land hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 300.000 ausländisch finanzierte Investmentprojekte

genehmigt und 406 Mrd. Dollar aus dem Ausland angezogen.

Doch Ernüchterung, Asienkrise und strukturelle Probleme der Staatswirtschaft gepaart mit Reform-Zurückhaltung der Führung haben das Wachstum an seine Grenzen stoßen lassen. Nur dank staatlicher

Milliardenspritzen mit Hilfe höherer Neuverschuldung wurden 1998 noch 7,8% Wachstum und in der ersten Hälfte dieses Jahres 7,6% erreicht.

Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) hat inzwischen ihre Wachstumsprognose für heuer von 7% auf 6,8% und für 2000 auf 6% nach unten korrigiert. So viel muss es mindestens sein, um neue Arbeitsplätze

zu schaffen und die soziale Stabilität zu wahren. Die Aussichten sind nicht gut. Die realisierten ausländischen Direktinvestitionen fielen seit Jänner um weitere 10%, die vertraglich zugesagten gar

um 20%. Die Nachfrage auf dem Binnenmarkt lässt nach obwohl Einzelhandels- und Verbraucherpreise seit vielen Monaten fallen.

Viele Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze, müssen horrende Summen für die Ausbildung der Kinder bezahlen und plötzlich ihre Wohnungen kaufen oder marktorientierte Mieten zahlen. Selbst die

Krankenhäuser wollen erst die Rechnung bezahlt wissen, bevor operiert wird. Die Gesellschaft ist in Unruhe geraten. Nach 50 Jahren kommunistischer Herrschaft und 20 Jahren Wirtschaftsreform vollzieht

sich ein ungeheurer sozialer Wandel, das Leben der Menschen wurde etwas freier, aber auch unsicherer. Die Liberalisierung hat ihre dunklen Seiten. Die "eiserne Reisschüssel", unter Mao Symbol für die

allumfassende Fürsorge, und die Sicherheit des Arbeitsplatzes gibt es nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit ist ein offenes Phänomen in den Großstädten. Zahllose Menschen vom Land strömen in die Städte,

als Wanderarbeiter ohne Chance auf einen legalen Wohnsitz. Auch gibt es Lohnrückstände, zum Teil fast so gravierend wie in Russland. Die kommunistischen Werte verfallen und hinterlassen ein

Wertevakuum.dpa