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Umsetzung der EU-Pläne würde ÖBB "früher oder später erledigen".
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Wien/Brüssel. Die nun vorliegenden Vorschläge der EU-Kommission für mehr Wettbewerb im Eisenbahnwesen würden auf eine scharfe Trennung von Infrastruktur und Betrieb der Bahn-Unternehmen hinauslaufen. Der Einsatz von Mitarbeitern in anderen Bereichen wäre verboten. Für kleinere Bahngesellschaften wie die ÖBB wäre das desaströs, sagte ÖBB-Generaldirektor Christian Kern zur "Wiener Zeitung". Die Abschaffung nationaler Zulassungen begrüßt er dagegen.
"Wiener Zeitung": Loks und Waggons müssen derzeit in allen EU-Ländern einzeln zugelassen werden. Die EU-Kommission will das ändern, um mehr Wettbewerb zu haben. Was ist daran schlecht?Christian Kern: Wir unterstützen die Integration der Eisenbahnmärkte. Dieser Vorschlag ist wertvoll und geht in die richtige Richtung. Nationale Standards werden immer noch bewusst zur Marktabschottung eingesetzt. Wir hatten in Italien ein Problem mit der automatischen Tür-Steuerung und mussten auf der Strecke eine Zeit lang daher Busse einsetzen. Das hatte sicherheitstechnisch keine Relevanz, machte uns aber keine Freude.
Trotzdem sieht die ÖBB das Vierte Eisenbahnpaket der Kommission sehr kritisch.
Siim Kallas (der EU-Verkehrskommissar, Anm.) hat zwei doch sehr zweifelhafte Thesen. Die Trennung der Eisenbahnunternehmen in Infrastruktur und Absatz würde die ÖBB hart treffen, da es unsere konzerninterne Umstrukturierung zum Erliegen brächte. Wir haben beispielsweise Mitarbeiter in der Lager-Logistik, die wir nicht beschäftigen können. In der Infrastruktur, bei der Kunden-Information, haben wir aber zu wenig. Da findet ein interner Ausgleich statt. Nach den EU-Plänen wäre das nicht mehr möglich.
Sie waren früher in der Verbundgesellschaft und wissen, dass es beim Strom ebenfalls derartige Trennungen gibt. Und da geht es nicht um Zerschlagung, sondern es sind mehrere Rechnungskreise.
Ich sage Ihnen ein Beispiel aus Deutschland. Dort sind viele Windparks im Norden gebaut worden. Aber die Netzbetreiber bauen keine Leitungen, weil sie sagen, es sei zu teuer und rechnet sich nicht. Das Quersubventions-Verbot von einem Bereich zum anderen führt zu solchen Entwicklungen, mit erheblichen Mehrkosten. Und damit ist bei den Eisenbahnen auch zu rechnen. Wir achten jetzt schon genau auf Quersubventionen und verkaufen keine Kraftwerke, weil wir den Erlös nicht von der Infrastruktur im Absatz-Bereich investieren könnten. Feuermauern zwischen diesen Bereichen ja, aber die EU-Vorschläge würden zu einer Dis-Integration führen. Und das ist ein Schuss in den Ofen.

Und was ist der zweite Bereich der EU-Kommission, den sie als schädlich bezeichnen?
Die Öffnung des Personenverkehrs. Wir können über Wettbewerb diskutieren, ich will da nicht als Betonierer dastehen. Aber dieser Wettbewerb muss fair sein. Wie in der Energiewirtschaft sind Bahn-Investitionen sehr kapitalintensiv. Wir haben uns in Bayern eine Strecke angeschaut und hätten dafür 250 Millionen Euro investieren müssen.
Wenn einfach liberalisiert wird, bleiben "big boys" übrig, wie die Deutsche Bahn und die französischen Staatsbahnen. Die haben außerdem noch Vorteile, weil die Deutschen bei den Personalkosten entlastet wurden und die Franzosen Infrastrukturinvestitionen nicht in den Büchern haben. Die würden einfach alles wegkaufen.
Wie könnte dann fairer Wettbewerb im europäischen Schienenverkehr aussehen?

Ein Bahn-Unternehmen, das mit null startet, hat große Vorteile, weil wir mit den höheren Personalkosten reingehen müssen. Da stellt sich nur die Frage, ob wir früher oder später erledigt werden. Ich würde mir daher wünschen, dass auch nachgewiesene Produktivitätssteigerungen eingerechnet werden. Und volkswirtschaftlich ist es sinnlos. Wenn wir verschwinden würden, die Kosten verschwinden ja nicht. Sie verteilen sich dann nur auf öffentliche Sozial-Töpfe.
Das klingt nach: Na gut, dann doch kein Wettbewerb.
Nein, auch ich will mehr Wettbewerb und integrierte Märkte. Aber die EU-Kommission macht es sich zu einfach. Wenn wir auf dies hingewiesen haben, wurde in Brüssel gesagt, das ist euer Problem. Das ist ungefähr so, als einem Zugbegleiter zu sagen, spring 5 Meter hoch, aber die Gravitation ist dein Problem.
Was würde Christian Kern machen, wenn er der zuständige EU-Kommissar wäre?
Erstens lange Übergangsfristen, um die nationalen Eisenbahngesellschaften auf den Wettbewerb vorbereiten zu können. Und dann in den Bestimmungen kleinere Lose, um auch kleineren Bahngesellschaften wie die ÖBB eine faire Chance zu geben, gegen die Großen zu bestehen.
Dazu gehört auch eine starke europäische Marktaufsicht, weil eben manche Bahngesellschaften von ihren Staaten Entlastungen bekommen, die sie kapitalkräftig machen.
Eisenbahn-Liberalisierung
Der EU geht es im sogenannten Vierten Bahnpaket um eine weitgehende Trennung von Schienen und Zügen (man nennt das "Unbundling"). Seit Jahren versucht die EU-Kommission, den Einfluss der Eisenbahnunternehmen auf die Schieneninfrastrukturunternehmen zurückzudrängen, soweit sie dem gleichen Konzern angehören. Viel Erfolg war der EU-Kommission damit aber bisher nicht beschieden. Dr. Matthias Ruete, Generaldirektor für Mobilität und Verkehr der EU-Kommission in Brüssel, hatte vor kurzem gemeint, dass nach dem jüngsten Entwurf für das 4. Eisenbahnpaket die Holding-Gesellschaften für eine gewisse Zeit weiter existieren dürfen. Er nannte aber Bedingungen: Die Holdinggesellschaften müssten Transparenz bei den Finanzströmen zwischen Infrastrukturunternehmen und Holdinggesellschaften garantieren, sowie eine Nichtdiskriminierung nicht zum Konzern gehörender Bahnen, die diese Infrastruktur nutzen.
Nicht nur die ÖBB wehrt sich gegen diesen Passus (siehe nebenstehendes Interview): Besonders aus Deutschland kam laute Kritik gegen diese Pläne. ÖBB und DB haben gute Argumente: In Deutschland haben die privaten Konkurrenten ein Viertel des Marktes erobert, zwischen Wien und Salzburg rollen seit Dezember 2011 die Garnituren der "Westbahn". Die Intention der EU-Kommission ist die Öffnung der europäischen Schienenstränge für den europäischen Markt sowie eine Vereinheitlichung des europäischen Bahnverkehrs. Der europäische Bahnverkehr werde dadurch auch als Alternative zum Auto und Lkw attraktiver.
Kritiker befürchten eine Schwächung der nationalen Bahngesellschaften, die mit der Anbindung strukturschwacher Gebiete - die privaten würden sich nur die attraktivsten Strecken aus dem Kuchen picken - eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe erfüllen würden.