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Lokalaugenschein im Geburtsort von Hosni Mubaraks: An der Oberfläche ist in Ägypten alles anders, aber darunter hat sich bisher fast nichts verändert.
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Was durch die Revolution in Ägypten erreicht wurde, kann man sich, zwanzig Monate danach, bei einem Besuch in Menoufia ansehen, einem ländlichen Gebiet im Nildelta, dem Geburtsort des abgesetzten Diktators Hosni Mubarak: An der Oberfläche ist alles anders, aber darunter hat sich bisher fast nichts geändert.
Die Auswirkungen der Revolution zeigen sich am deutlichsten in der Tatsache, dass die Muslimbruderschaft sogar hier die Parlamentswahlen gewonnen hat, in dieser früheren Hochburg des Regimes. Die Menschen äußern frei ihre Meinung, auch scharfe Kritik am neuen Präsidenten Mohamed Morsi, in einer Weise, die bisher undenkbar war.
Auch das Chaos hat sich abgeschwächt. Die Sicherheitslage ist besser als in den Monaten nach der Revolution. Die Polizei ist wieder zu sehen, sie regelt den Verkehr. Im lokalen Textilwerk ist ein langer Streik zu Ende gegangen und die Menschen arbeiten wieder in den landwirtschaftlichen Betrieben und den Fabriken.
Das Haus der Familie Mubarak ist verlassen. Und die Mubarak-Brücke heißt jetzt nach einem Märtyrer der Revolution. Aber die tiefergehenden Veränderungen, die Menoufia braucht, beginnen erst. Die Nilkanäle sind verschmutzt, das Wasser ist nicht trinkbar. Die Wirtschaft ist rückständig. Der regionale Führer der Muslimbruderschaft sagt genau das Richtige über Reformen, bisher ist aber fast nichts davon zu sehen.
An den Ufern eines breiten Kanals sprach ich mit einer Gruppe junger Menschen über Politik. Es kamen so viele, dass wir in ein Klubhaus übersiedeln mussten. Mohammed Said, ein 32-jähriger Lederhändler, hält dem neuen Präsidenten zugute, dass er die führenden Generäle gefeuert und Ägyptens erste wirkliche zivile Regierung eingesetzt hat. Andererseits, sagt er, seien die Veränderungen oberflächlich: "Die Menschen sind immer noch arm, die Kinder sind auf der Straße, das Wasser ist schmutzig." Um uns ein zeitloser Anblick: An der Decke ein träger Ventilator, draußen fließt das Wasser behäbig, mit Abfall verstopft. Frauen waschen darin ihre Wäsche, trotz der Verschmutzung.
In einem sauberen Büro in der Nähe treffe ich Badr el-Falah, den regionalen Führer der Bruderschaft. Er verkörpert die Bruderschaft von ihrer besten Seite: ordentlich, höflich, ernsthaft bei der Sache, wenn es um Korruptionsbekämpfung und das Schaffen von Arbeitsplätzen geht. Unter Mubarak saß er 2010 im Gefängnis.
Falah versteht, dass die Menschen ganz rasch Veränderungen sehen wollen, diese könnten aber nicht über Nacht geschehen, dazu seien die Probleme zu ernst. In einem Jahr werde ich gepflasterte Straßen sehen, sagt Falah, saubereres Wasser, weniger Müll. In zwei oder drei Jahren werde ich neue Industrien sehen, einen neuen Highway, der die Stadt mit Kairo verbindet, eine Freihandelszone, weniger Korruption in der lokalen Verwaltung und ein Recyclingprogramm.
Werden Morsi und die Bruderschaft Ägypten den benötigten Wandel bringen? Die Wahrheit ist, wir werden Orte wie Menoufia in ein oder zwei Jahren wieder besuchen müssen, um das herauszufinden.
Übersetzung: Redaktion
Englische Originalfassung "In Egypt, waiting for results"