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Das Weiße im Auge des Kunden

Von Michael Schmölzer

Wirtschaft

Die EU schiebt Datenmissbrauch einen Riegel vor - aber geht das überhaupt?


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Wien. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung tritt in Kraft, am 25. Mai ist es so weit. Die Maßnahme soll Bürger schützen - und stellt Unternehmen vor einige Probleme. Immerhin müssen alle Anwendungen an die neue Rechtslage angepasst werden, geht es doch darum, dass Personen der Verarbeitung ihrer Daten erst zustimmen müssen.

Die Wirtschaftsuniversität Wien hat die Reformen zum Anlass genommen, um die Thematik grundsätzlich zu diskutieren. Titel der Veranstaltung: "Big Data: Hat unser Leben noch Privatsphäre-Einstellungen?"

"Die Antwort lautet Nein", gibt sich Dozent Ronald Hochreiter keinen Illusionen hin. Dann liefert er einen kurzen Überblick darüber, in welchem Umfang Unternehmen bereits in der Lage sind, Kundendaten zu sammeln. Und welche weitreichenden Schlüsse sie daraus ziehen können. Anhand eines simplen Fotos könne bereits die sexuelle Orientierung eines Menschen erkannt werden, Bewegungsmuster beim Einkaufsvorgang im Supermarkt können gescannt werden, selbst die Bewegungsabläufe der Pupille. Alles mit dem Ziel, Rückschlüsse auf das Einkaufsverhalten zu ziehen, um dann gezielt darauf reagieren zu können. Etwa, was die Platzierung und Zusendung von Werbung betrifft.

"Wenn es zu sehr ins Extreme geht, dann wird sich der Gesetzgeber anpassen und entsprechende Regelungen schaffen", so die Hoffnung Hochreiters.

Aus der Analyse von 300 Facebook-Likes könne man jedenfalls mehr über eine Person erfahren, als die Person selbst über sich wisse, ist Hochreiter überzeugt. Es müssten gar nicht mehr personenbezogene Daten gesammelt werden, um einen Kunden so umfassend wie nie zuvor zu durchleuchten.

"Soll man deshalb verzweifelt sein?", stellt Hochreiter die entscheidende Frage. "Nein", so abermals seine Antwort. Man müsse lernen, damit zu leben und darauf hoffen, dass der Gesetzgeber illegale Aktivitäten und den Missbrauch von Daten unterbinde. Auch wenn die Gesetze immer hinterherhinken würden. Hochreiter hält es aus Kundensicht für durchaus begrüßenswert, wenn Supermärkte Empfehlungen und Gutscheine zielgenau versenden können.

"Werbegestützter Dienst"

Auch das Online-Netzwerk Facebook muss im Einklang mit der neuen EU-Gesetzgebung bei seinen 370 Millionen europäischen Nutzern die Erlaubnis für Nutzung der Daten einholen. Dass man bei Facebook auch unter den neuen, verschärften EU-Datenschutzregeln nicht daran denkt, keine gezielte Werbung einzusetzen, versteht sich von selbst. "Facebook ist ein werbegestützter Dienst", macht der Vize-Datenschutzbeauftragte des US-Konzerns, Rob Sherman, klar.

Der Konzern achtet penibel darauf, den Kern seines Geschäftsmodells trotz aller Skandale nicht anzutasten. Deshalb ist auch die Anwendung der umfassenden EU-Datenschutzregeln für Facebook-Nutzer in Afrika, Asien, Australien und Lateinamerika kein Thema. Bisher galten für alle Mitglieder außerhalb der USA und Kanada die Nutzungsbedingungen der internationalen Zentrale in Irland. Ab Mai wird sich das ändern. Dann werden nur noch die 370 Millionen Nutzer in Europa Irland zugeordnet.

Für Hochreiter stellt der gegenwärtige Facebook-Skandal keine große Überraschung dar: Es sei "von Anfang an klar" gewesen, dass "alles, was ich poste, gegen mich verwendet und verkauft wird". Bis zum Jahr 2010 sei Facebook vor allem "ein großer Spaß" gewesen. "Die Leute haben alles gepostet". Dann erst sei langsam das Bewusstsein entstanden, dass Vorsicht geboten wäre.

"In Relation zu Google haben wir die allerwertvollsten Daten überhaupt", weiß Peter Bosek, Vorstandsmitglied der Erste Group und Mitdiskutant. Denn: "Wir wissen, wo das Geld hingeht. Das ist wahrscheinlich die wertvollste Information."

Er glaube, so Bosek unter Verweis auf das Bankgeheimnis, dass die Debatte rund um die neue EU-Datenschutzverordnung "für uns eine unglaubliche Positionierungschance" darstelle. "Sie können sich 2000 Prozent sicher sein, dass ich ihre Daten nicht zur Verfügung stelle. Das ist unser Modell. Unsere Gründungsidee ist die, ihre Daten zu beschützen", wirbt Bosek. Allerdings sind mit 1. Jänner dieses Jahres Banken auf ausdrücklichen Kundenwunsch dazu verpflichtet, Daten zugänglich zu machen. Etwa wenn es darum geht, dass Anwendungen wie "Personal-Finance-Manager" gefüttert werden sollen. Dabei handelt es sich um Apps, die dem Kunden Finanzprodukte-Angebote machen, die angeblich genau auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sind. "Welchen Wert haben Daten, die für alle zugänglich sind?", fragt Bosek. "Ich würde sagen: null". Das hält er für "traurig".

Europa ist Vorreiter

Die EU, so Bosek, nehme durch ihre Bemühungen beim Datenschutz eine Vorreiterrolle ein. In den USA sei man daran sehr interessiert, da man dort mit riesigen Daten-Lecks kämpfe und nicht über eine Regulierungstradition wie in Europa verfüge.

Die politische Brisanz von Daten-Missbrauch bei Facebook ist ebenfalls nicht zu unterschätzen und tritt spätestens seit dem Skandal rund um Cambridge Analytica offen zutage. Für 44 Prozent der US-Amerikaner ist Facebook die erste Informationsquelle, hier gibt es keine Journalisten, die auf Qualität achten und Informationen filtern. Werden potenzielle Hillary-Clinton-Wähler in großer Zahl mit Fehlinformationen und "News-Spam" versorgt, kann das unter Umständen wahlentscheidend sein.

Wie bringen Unternehmen Kunden dazu, ihre Daten preiszugeben? Feststellbar ist, dass die Menschen schon durch kleine Geschenke (Rucksäcke, T-Shirts etc.) bereit sind, Unternehmen mit Informationen zu füttern. Allerdings könne das aus Sicht dieser Unternehmen schnell "zu einem gefährlichen Spiel" werden, sagt Banker Bosek. Nämlich dann, wenn "auf diesem Klavier zu stark gespielt wird". "Wenn Sie mit 18 eine Zigarette geraucht haben und dann keine Krankenversicherung mehr bekommen, ist das kein Zustand, den wir wollen." Irgendwo fänden "diese Dinge eine natürliche Grenze".