Zum Hauptinhalt springen

Das weithin unterschätzte Erbe

Von Heiner Boberski

Wissen
Mosaike sind eine der bekanntesten Ausdrucksformen byzantinischer Kunst und wurden eingesetzt zur Boden-, Wand- undDeckengestaltung (Bild: Bodenmosaik mit Darstellung eines Tigers).

Ein tausendjähriges Reich, das mehr hinterließ als Ikonen und Seidengewänder.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Die Hagia Sophia können wir hier leider nicht ausstellen", scherzt Falko Daim, Kurator der Ausstellung "Das Goldene Byzanz und der Orient", die ab Samstag auf der Schallaburg bei Melk in Niederösterreich ihre Pforten geöffnet hat. Aber auch so kann sich das, womit man hier die Geschichte und Kultur eines durch Jahrhunderte politisch dominierenden und über ein Jahrtausend bestehenden Reiches dokumentiert, sehen lassen. Der aus Wien stammende Archäologe, seit 2003 Generaldirektor des renommierten Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) in Mainz, weist auf 400 Objekte von 60 Leihgebern aus sieben Ländern hin, darunter "Kunstwerke von enormer ästhetischer Qualität" und repräsentative schriftliche und archäologische Quellen. Unbeabsichtigt fügt sich die Schau gut in dieses Jahr mit der "Gold"-Schau im Unteren Belvedere und dem Gedenken an Gustav Klimt.

Ein mächtiger Thron empfängt den Besucher in der Eingangshalle, Symbol der römischen Macht, die nach dem Zerfall des Gesamtreiches im Osten hochgehalten wurde. Nachdem Kaiser Konstantin im Jahr 330 eine seiner Residenzen nach Byzantion, das nun Konstantinopel hieß, verlegt hatte, verband diese Stadt römisches Staatswesen, griechische Kultur und christlichen Glauben und bekam eine Ausstrahlung, "die bis heute unterschätzt wird", erklärt Daim. Nach der Teilung des Römischen Reiches im Jahr 395 wurde das byzantinische Ostreich von dieser Stadt aus regiert.

Gegen griechisches Feuer

Bestrebungen, das 476 aufgelöste Westreich wieder in Besitz zu nehmen, waren nur im 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian, anschaulich geschildert in Felix Dahns Roman "Ein Kampf um Rom", kurzfristig erfolgreich, aber letztlich, so Daim, "hat Justinian mit seiner Eroberungspolitik Italien zerstört". Für die Byzantiner bedeutete dann die Krönung Karls des Großen zum Kaiser in Rom im Jahr 800 eine Herausforderung, denn "aus ihrer Sicht konnte es nur einen Kaiser geben" (Daim). Noch im 12. Jahrhundert landeten byzantinische Schiffe in Ancona - ein letzter vergeblicher Versuch, wieder nach Italien vorzustoßen. Doch die große Zeit dieser Flotte, die mit Flammenwerfern das gefürchtete, mit Wasser nicht löschbare "griechische Feuer" auf gegnerische Schiffe abschoss, war vorbei. Auf der Schallaburg ist das Modell eines byzantinischen Kriegsschiffs, einer mit 200 Mann Ruderbesatzung ausgestatteten "Dromone", zu sehen.

1000 Jahre: verschwunden

Das Reich von Byzanz verlor - trotz geschickter Diplomatie und Heiratspolitik mit europäischen Fürstenhäusern - nach und nach auch seine politische Bedeutung, nachdem es für seine Wirtschaft wichtige Gebiete in Nordafrika, Syrien und Anatolien eingebüßt hatte. Die Plünderung der Stadt auf dem 4. Kreuzzug im Jahr 1204, nachzulesen in Umberto Ecos Roman "Baudolino", bedeutete nicht nur die erste Eroberung der nahezu perfekt befestigten Hafenstadt am Bosporus, sondern auch den endgültigen Bruch zwischen östlichem (orthodoxem) und westlichem (lateinischem) Christentum. Dem waren schon im Jahr 1054 gegenseitige (erst 1965 wieder aufgehobene) Bannbullen des Patriarchats von Konstantinopel und des Heiligen Stuhls in Rom vorausgegangen. Die dabei entstandenen Ressentiments verhinderten letztlich, dass es zu einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie gegen die anrückenden Türken kam und besiegelten den Untergang der Stadt.

Stefan Zweig schreibt in seinen "Sternstunden der Menschheit" über die Eroberung von Byzanz durch die Osmanen am 29. Mai 1453: "Was die Kreuzfahrer bei ihrer vielleicht ebenso fürchterlichen Plünderung an wertvollen Reliquien und Kunstwerken noch übrig gelassen, wird von den rasenden Siegern zerschlagen, zerfetzt, zertrennt, die kostbaren Bilder werden vernichtet, die herrlichsten Statuen zerhämmert, die Bücher, in denen die Weisheit von Jahrhunderten, der unsterbliche Reichtum des griechischen Denkens und Dichtens bewahrt sein sollte für alle Ewigkeit, verbrannt oder achtlos weggeworfen."

"Die tausend Jahre des goldenen Byzanz sind aus dem Blickwinkel des lateinischen Westens total verschwunden", konstatiert Falko Daim, dabei lasse sich das reiche kulturelle Erbe gar nicht bestreiten. Das auf dem "Codex Iustinianus" beruhende Rechtssystem - die Ausstellung zeigt eine Pergament-Ausgabe der "Institutiones" von Justinian I. aus dem 14. Jahrhundert aus der Österreichischen Nationalbibliothek - wurde zum Vorbild. Die europäische Architektur, aber vor allem auch der islamische Moscheenstil, wurde von den byzantinischen Kuppelbauten ebenso beeinflusst wie die bildende Kunst von den Ikonen und Mosaiken. Byzanz inspirierte, wie der letzte Raum der Ausstellung zeigt, noch den Wiener Jugendstil, insbesondere die Otto-Wagner-Kirche auf der Baumgartner Höhe. Imposante mittelalterliche Zeugnisse des byzantinischen Baustils finden sich in Süditalien und Sizilien, etwa die Kathedralen von Cefalù und von Monreale bei Palermo.

Die Erinnerung an die großen Zeiten der Stadt ist mit Gold, das man aus Ägypten bezog, mit kostbarem Purpur (10 Gramm dieses aus Schnecken gewonnenen Farbstoffs kosten heute noch 2500 Euro), der dem Kaiserhaus vorbehalten war, und mit Seide, die man erst aus Ostasien importierte und später aus selbst gezüchteten Seidenraupen gewann, verbunden. Ein Seidenfragment aus dem 8. Jahrhundert, aus dem niederländischen Maastricht geliehen, gehört zu den Highlights der Ausstellung. Die aus byzantinischer Seide gefertigte Adlerkasel in Brixen in Südtirol werde leider nicht verliehen und sei nur dort zu besichtigen, erklärt Daim.

Prunkstück Goldschatz

Auch die Musik spielte im Byzantinerreich eine große Rolle, darauf soll eine von der Potsdamer Firma Schuke original nachgebaute und funktionstüchtige Doppelorgel hinweisen. Für die Ausstellung nachgebaut wurde auch eine mit einem Wasserrad betriebene Steinsäge, wie sie der österreichische Archäologe Hermann Vetters in den 1970er Jahren in Ephesos gefunden hatte. "Solche Dinge haben Sie noch nie bei einer Byzanz-Ausstellung gesehen", betont Daim. Für ihn zählt auch die Wasserversorgung durch über 100 Kilometer lange Wasserleitungen zu den großen technischen Leistungen der Byzantiner, die auf vielen Gebieten römische Erkenntnisse nicht nur angewendet und weiter tradiert, sondern auch deutlich weiterentwickelt haben.

Dem Verhältnis von Byzanz zu seinen Nachbarn und Gegnern, etwa ihren "Lieblingsfeinden", den im heutigen Persien herrschenden Sassaniden, zu Arabern und Türken, aber auch zu Awaren und Bulgaren, sind einige Schauräume gewidmet. Prunkstück ist der erst 1978 in Bulgarien entdeckte "Goldschatz von Preslaw", aus dem eine emaillierte Halskette, ein Meisterwerk byzantinischer Goldschmiedekunst, herausragt.

Falko Daim will mit der Schau nicht nur Gelehrte, sondern alle ansprechen, "die sich für Geschichte interessieren oder einfach schöne Dinge sehen wollen, auch Familien mit Kindern". Unter den vielen Objekten, Handschriften (teils reich illustriert), Ikonen, Mosaiken, Kunstgegenständen aus Gold, Edelsteinen, Elfenbein, wird wohl jeder etwas finden, das ihn fasziniert.