Die Midterms in New York sind der Probelauf für potenzielle Präsidentschaftskandidaten.
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New York/Albany/Trenton. Wahlfreiheit ist in Amerika ein hohes Gut, nicht umsonst gibt es in keinem anderen Land der Welt weit über hundert verschiedene Sorten an Kartoffelchips und Softdrinks zu kaufen. Auch die amerikanische Innenpolitik hält dieses Gut prinzipiell und wider alle Vorurteile hoch. Selbst wenn die folgende Art von politischer Wahlfreiheit kaum im Sinne ihrer Erfinder gewesen sein dürfte. Will ein Stimmberechtigter am 4. November den Gouverneur des nach Kalifornien und Texas drittgrößten Bundesstaats der USA im Amt bestätigen, kann er oder sie das in gleich vierfacher Ausfertigung tun. Man kann für Andrew Cuomo stimmen, den Spitzenkandidaten der Demokratischen Partei. Oder für Andrew Cuomo, der für die "Working Families Party" antritt. Oder für Andrew Cuomo, den die "Women’s Equality Party" aufs Schild gehoben hat. Oder für Andrew Cuomo von der "Independence Party". Wer lieber einen Rechten an der Spitze von New York State sehen will, hat die Auswahl zwischen Rob Astorino von der Republikanischen Partei, Rob Astorino von der Konservativen Partei und Rob Astorino von der "StopCommonCore Party". Die einzigen Namen, die sich nur einmal am Stimmzettel finden, sind die Kandidaten der Grünen, der Libertären und der sogenannten "Sapient Party".
Strohparteien
Es ist eine Eigenheit des New Yorker Wahlsystems, dass die Bewerber der zwei großen Parteien auf dem Papier mit den Wahlvorschlägen mehrmals aufscheinen. Nur eine von vielen, aber trotz Protesten da und dort - weil die anderen, für die der Demokrat und der Republikaner als Spitzenkandidaten aufscheinen, in der Regel nur sogenannte "Strohparteien" (im Sinne von Strohmännern) sind: So richtig stoßen mag sich keiner daran. Nicht zuletzt, weil das Ergebnis allen Umfragen zufolge ohnehin so gut wie feststeht. In dem 20-Millionen-Einwohner-Bundesstaat, in dem statistisch gesehen auf jeden Republikaner zweieinhalb Demokraten kommen, traut sich keiner gegen eine zweite Amtszeit Cuomos wetten, der aus einer alteingesessenen New Yorker Politikerdynastie stammt. (Schon sein Vater Mario diente als Gouverneur, von 1983 bis 1994.) Kaum anders stellt sich die Situation kurz vor den Midterms auf Bundesebene dar: Von den 27 Abgeordneten, die New York nach Washington D.C. entsendet, stellen die Demokraten derzeit 21, die Republikaner sechs. Mit Ausnahme des aus Staten Island stammenden Ex-FBI-Agenten Michael Grimm, einem Konservativen, der sich bald wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Meineid vor Gericht verantworten muss, braucht niemand von ihnen um seinen Posten zu fürchten. Und trotzdem: Obwohl sich weder in Albany, der rund zweieinhalb Stunden von New York City entfernten Hauptstadt, noch in der Zusammensetzung der Bundesdelegierten Änderungen abzeichnen, herrscht kurz vor dem Wahlgang eine seltsame Stimmung in den politischen Zirkeln der größten Stadt Amerikas.
Tatsächlich scheint es hier heute weniger darum zu gehen, wie der nächste Kongress ausschaut, sondern welcher von den hier ansässigen potenziellen Kandidaten fürs Weiße Haus 2016 am besten Kapital aus dem Drumherum des Wahlgangs schlägt. Draußen, am Land, weist alles darauf hin, dass die Republikaner bald nicht mehr nur im Repräsentantenhaus, sondern auch im noch mehrheitlich von den Demokraten dominierten Senat den Ton angeben werden. Präsident Barack Obama tut sein Möglichstes, nämliches zu verhindern. Auf die angesichts unterirdischer persönlicher Umfragewerte wahrscheinlich klügste Art: Er kommt derzeit regelmäßig in New York vorbei, um Spender zu finden für die Parteifreunde, die weiter westlich ums politische Überleben kämpfen. Seine potenzielle Nachfolgerin tut es ihm gleich. Was heute viele schon fast wieder vergessen haben: Vor ihrer Karriere als Außenministerin diente Hillary Clinton New York acht Jahre lang als eine von zwei Senatoren.
Auch wenn man auf den Straßen von Manhattan bis auf ein paar Schilder mit den Kandidatennamen hier und da kaum etwas merkt, gilt es ob seiner Rolle als Nabel der Finanzwelt als "Battleground State" Nummer eins in Sachen Parteispenden. Vor allem, seit der von konservativen Richtern dominierte Oberste Gerichtshof im Jahr 2010 im Rahmen einer - extrem fragwürdigen - Entscheidung verfügt hat, dass Unternehmen in diesem Kontext die gleichen Rechte haben wie Einzelpersonen und deshalb so viel Geld für Kandidaten spenden können, wie sie wollen.
Auf Geldsuche
Die häufiger werdenden Auftritte Clintons in Downtown werden insofern auch als Strategie gewertet, langsam aber sicher und ganz ernsthaft den finanziellen Boden für das aufzubereiten, was sich fast alle erwarten: die baldige Bekanntgabe ihrer Präsidentschaftskandidatur für 2016. Was insofern pikant ist, als auch Andrew Cuomo Ambitionen aufs Weiße Haus nachgesagt werden - freilich nur unter der Voraussetzung, dass Clinton von einer Bewerbung ums höchste Amt im Staat absieht. Aber auch wenn sie das nicht tun sollte und der Weg für den gelernten Anwalt frei wäre: Mit dem ersten Präsidenten aus New York seit Franklin Delano Roosevelt (1933-1945) dürfte das trotzdem schwer werden. Cuomo mangelt es bisher nicht nur an nationalem Profil: Rechtzeitig zu den Midterms erschien Mitte des Monats sein erstes Buch, ein 500 Seiten starkes Werk namens "All Things Possible - Setbacks and Success in Politics and Life". Der Verlag HarperCollins hatte Cuomo dafür einen Vorschuss von 700.000 Dollar gezahlt. In der ersten Woche nach dem Erscheinen hatte er genau 945 Stück verkauft.
Vorteil für Christie
Und dann ist da auch noch der buchstäblich wie sprichwörtlich mächtige Mann auf der anderen Seite des Flusses, den es auf der Suche nach Geld für die Kandidaten seiner Partei inzwischen auch regelmäßig über den Hudson treibt. Chris Christie, der Gouverneur von New Jersey, gilt trotz seiner nachgewiesenen Inkompetenz bei der Rekrutierung enger Mitarbeiter (die politische Gegner bestraften, indem sie eine als Verkehrsstudie getarnte Brückenblockade zwischen New Jersey und New York anordneten) ebenfalls als potenzieller Präsidentschaftskandidat. Während er und Cuomo politisch regelmäßig im Gleichschritt marschieren, nicht selten jeglicher Vernunft zum Trotz - vergangene Woche ordneten sie die Zwangsquarantäne für Leute an, die aus Westafrika nach New York und New Jersey zurückkommen und mit Ebola-Patienten Kontakt hatten, auch wenn diese keinerlei Symptome zeigen -, herrscht außerhalb der Bundesstaatsgrenzen Konkurrenzkampf. Mit klarem Vorteil für Christie. Sein Rang als Vorsitzender der Republican Governors Association (RGA) erlaubt es ihm, im ganzen Land Geld an Kandidaten zu verteilen, dem seine Organisation die besten Chancen auf die Wahl beziehungsweise die Wiederwahl einräumt. In seinem eigenen Bundesstaat haben ihn die Leute schon im vergangenen Jahr mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt. Keine Selbstverständlichkeit im bei Präsidentschaftswahlen klar den Demokraten zugeneigten New Jersey. Und obwohl sein Name nur ein einziges Mal am Wahlzettel stand.