Die muntere Verbreitung von geheimen Ermittlungsakten ist Gift für die politische Kultur.
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Verschlussakten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Seit Monaten finden zahllose Informationen aus hochsensiblen und sehr, sehr spannenden Ermittlungsverfahren den Weg in die Öffentlichkeit: Chat-Protokolle, Telefonlisten, Koksspuren auf Visitenkarten und zahllose weitere Details rund um die erweiterte Ibiza-Affäre, also inklusive freiheitlicher Spenden- und Casino-Causa. Und sehr, sehr oft mit voller Namensnennung.
Es ist angesichts der Vielzahl an Personen, die Zugriff auf Ermittlungsergebnisse und damit zusammenhängende Dokumente haben, praktisch unmöglich, deren Weitergabe verlässlich zu verhindern. Untersagt ist es ja. Der Schutz von Beschuldigten, Zeugen und Informanten ist geltendes Recht, solange noch nicht einmal Anklage erhoben ist - und trotzdem derzeit oft totes Recht.
Es ist, wie fast alles im Leben, am Ende keine Frage von Gesetzen, sondern eine der Kultur, der ungeschriebenen politischen wie sozialen Regeln, was man tut und was man lässt. Tatsächlich kann eine Veröffentlichung von Ermittlungsakten sehr wohl legitim sein, ja manchmal sogar zwingend, wenn daran ein übergeordnetes öffentliches Interesse besteht. Das ist bewusst schwammig formuliert, weil im Zweifel die Veröffentlichung Vorrang haben muss vor der stets drohenden Möglichkeit von Machtmissbrauch und Vertuschung. Von Vertuschungsversuchen kann derzeit allerdings wohl kaum die Rede sein.
Es ist eben alles eine Frage der Kultur. Und so wie Österreich keine Tradition der Transparenz in öffentlichen Angelegenheiten hat, ist dieses Land dabei, eine bedenkliche Kultur zu entwickeln, wenn es um die Veröffentlichung von hochpersönlichen Informationen geht, deren Verbreitung vorwiegend voyeuristischen Bedürfnissen und nur höchst indirekt der legitimen Information im öffentlichen Interesse dient.
Eine solche Kultur der Zurückhaltung findet momentan auch deshalb kaum Gehör und noch weniger Gefolgschaft bei den Medien, weil die Veröffentlichungen Personen und Gruppen betreffen, von denen angenommen werden kann, dass sie, in die Gelegenheit versetzt, ebenfalls rücksichtslos zum eigenen Vorteil veröffentlichen würden. Und auch bereits haben.
In Zeiten wie diesen zählt der alte Grundsatz nicht mehr, dass man Gleiches nicht mit Gleichem vergilt. Die Schadenfreude ist eben ein Hund. Und im Zweifel gibt es da ja noch das Argument des "öffentlichen Interesses".
Das wird unweigerlich Folgen haben. Die Präzedenzfälle sind gesetzt, die medialen Schleusen sperrangelweit offen.