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Das zahnlose Relikt aus dem 18. Jahrhundert

Von Konstanze Walther

Politik

Am Montag stimmen die Wahlleute über den US-Präsidenten ab. Ein Unikum in der westlichen Demokratie.


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Bei den US-Präsidentschaftswahlen wurden sie gezählt, als ob Einschlafwillige Schafe addierten. Donald Trump bekommt sechs Wahlleute aus Arkansas, neun aus Alabama. Joe Biden erhält elf aus Arizona, 16 aus Georgia - und so weiter.

Es gibt 538 solcher kostbaren Wahlleute. 270 braucht es, um als Gewinner bei den US-Präsidentschaftswahlen dazustehen. Joe Biden hat mit 306 Wahlmännern mehr als genug.

Am Montag, dem 14. Dezember, ist es nun so weit. Die begehrten Wahlleute treffen sich in ihrem jeweiligen Bundesstaat und wählen den Präsidenten. Meistens ist ihre Wahl mit der Wahl des Bundesstaates ident. Allerdings nicht immer.

Das hängt unter anderem davon ab, wie sich diese Wahlleute, das Electoral College, zusammensetzen. Die Verfassung schreibt nur vor, dass es keine Personen sein dürfen, die als Abgeordnete oder Senatoren dienen; es sollten normale Bürger sein. In der Praxis werden oft Parteigänger gewählt oder Personen, die sich mit Großspenden besonders verdient gemacht haben.

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In einigen Bundesstaaten wird mit der Wahl des Präsidenten gleich die Gruppe der Wahlleute bestimmt. Gewinnt ein Republikaner, kommen die republikanischen Wahlleute zum Zug, im Falle eines Wahlsiegs der Demokraten ist es umgekehrt. In manchen Bundesstaaten könnte allerdings der Gouverneur bestimmen, welche Wahlleute zur Abstimmung geschickt werden. Das war eine der letzten Angriffslinien des Lagers von Donald Trump: Republikaner, wie etwa Floridas Gouverneur Ron DeSantis, lancierten die Idee, dass die republikanischen Gouverneure die Wahlleute entsenden sollten. In dieser Lesart sollten sie Wahlleute aussuchen, die verlässlich für Donald Trump stimmen würden, egal wie der Bundesstaat abgestimmt hat. Diese Idee verlief aber im Nichts.

Zuletzt versuchte das Trump-Lager mit juristischen Schachzügen, die Ernennung von Wahlleuten in vier Bundesstaaten (Pennsylvania, Georgia, Michigan und Wisconsin) zu verhindern. Es ging dabei um immerhin 62 Stimmen. Doch der Supreme Court ließ die Klage erst gar nicht mal zu.   Das ist vielleicht die letzte Niederlage vor Gericht in dieser Amtsperiode.

Trotzdem: Ob die Wahlleute nun für jenen Kandidaten stimmen, der den Bundesstaat gewonnen hat, ist nicht ausgemacht, sondern wird auf Ebene der Bundesstaaten geregelt. Die Bundesverfassung schweigt dazu. Ob das Verhalten eines "treulosen Wahlmannes" ("faithless elector") geahndet wird, ist verschieden geregelt. Es kommt immer wieder vor, dass Wahlleute anders abstimmen, etwa als Protest gegen das Partei-Establishment.

Wahlleute haben das Endergebnis nie beeinflusst

2016 stimmten etwa eine Handvoll Wahlleute für jene Kandidaten ihrer Partei, die längst nicht mehr auf der Liste waren: Bernie Sanders statt Hillary Clinton bei den Demokraten, Ron Paul statt Donald Trump bei den Republikanern. Solche Duftmarken gaben freilich noch nie einen Ausschlag für das finale Ergebnis. Kein Alleingang eines Wahlmannes hat bei US-Präsidentenwahlen jemals einen Unterschied gemacht.

Gerade 2016 wurden die Wahlleute von Demonstranten nachgerade bekniet, sich doch am Ergebnis des Popular Votes zu orientieren. 2016 hatte ja die Mehrheit der Bevölkerung für Clinton gestimmt. Aber es nutzte auch diesmal nichts: Mechanisch orientierten sie sich am Ergebnis ihres Bundesstaates. Für Kritiker des Systems hat die Idee des "Wahlmanns" als Korrektiv spätestens seit damals ausgedient.

Die amerikanische Anwaltsvereinigung hat den Brauch der Wahlleute schon 1969 als "archaisch, undemokratisch, komplex, zweideutig, indirekt und gefährlich" beschrieben.

Wozu gibt es sie dann überhaupt? Nach der Idee des Mitautors der Verfassung, des vierten US-Präsidenten James Madison, waren die Wahlleute nicht als Ersatz für die Wähler, sondern als Ersatz für die Bundesstaaten gedacht. Hier wurde versucht, einen Ausgleich zwischen den kleinen und den großen Bundesstaaten zu schaffen. Denn selbst die kleinsten Staaten bekommen mindestens drei Wahlleute.

Außerdem dachte Madison, dass in einem großen Land wie den USA im 18. Jahrhundert nicht alle stimmberechtigen Bürger genau über die Kandidaten Bescheid wissen. Hier hätten die Wahlleute korrigierend eingreifen können. Und die Wahlleute sollten außerdem die Südstaaten beschwichtigen, damit es nicht allzu offensichtlich war, dass im Norden Afroamerikaner wählen dürfen.