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Twitter ist das Blasenmedium schlechthin. Nirgends sonst ist es so einfach, sich für die eigene Meinung eine Wohlfühloase zu bauen und die persönliche Weltsicht in einem überdimensionalen Spiegelkabinett tausendfach unreflektiert reflektiert zu bekommen. Neben einem absurden Schauplatz der (intellektuellen) Eitelkeiten ist Twitter auch Symbol für die Meinungsradikalisierung, an der westliche Gesellschaften aktuell erkrankt sind. Die Knappheit des zur Verfügung stehenden Platzes sollte Nutzer dazu anhalten, sich pointiert auszudrücken. Daraus ist geradezu eine neue literarische Form entstanden, um die 140 Zeichen optimal zu nutzen.
Die Beschränkung hat aber auch dazu geführt, dass sich auf 140 Zeichen oft nur ein Blickwinkel darlegen lässt - schwarz oder weiß. Hier Farbtöne und -nuancen einzubringen, zumindest aber Graustufen, diese hohe Kunst der kleinen Form beherrschen die wenigsten. Und so wird der Ton in den teils hitzig aufflammenden Debatten mitunter sehr scharf und vor allem engstirnig.
Jetzt hat Twitter nach einer Testphase die Zeichenzahl auf 280 erhöht. Und es gibt natürlich: viel Aufregung, die Basisemotion des Mediums. Twitter gebe sich selbst den Todesstoß, das Zeitalter des Schwafelns breche an, wird da befürchtet und gleich der Hashtag #Schwätzerdämmerung erfunden. Puristen verkünden nach Austrittsdrohungen, sich weiter auf 140 Zeichen zu beschränken.
Vielleicht geht sich ja auf 280 Zeichen künftig zumindest eine Graustufe aus? Dämmert hier gar ein neues Zeitalter der differenzierten Betrachtung von Themen? Dafür dürften weiterhin klassische Medien besser geeignet sein.