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Das Zeitalter der Extreme

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

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Der 2012 verstorbene britische Historiker mit Wiener Wurzeln Eric Hobsbawm gab seinem Band über das "kurze 20. Jahrhundert" (von 1914 bis 1991, dem Jahr des Zerfalls der Sowjetunion) den Titel "Das Zeitalter der Extreme". Eines der Einleitungszitate dieses lesenswerten Buches stammt vom Geiger und Dirigenten Yehudi Menuhin: "Wenn ich das 20. Jahrhundert zusammenfassen müsste, würde ich sagen, dass es die größten Hoffnungen erweckt hat, die die Menschheit je empfunden hat - und alle Illusionen und Ideale zerstört hat."

Das 21. Jahrhundert hat sich erst gar nicht die Mühe gemacht, irgendwelche Hoffnungen zu erwecken: Das Schlagwort, das das noch junge Säkulum am besten beschreibt, lautet: Polykrise. Der misstönende Anfangsakkord des 9/11-Terrors, Kriege in Afghanistan und im Irak, die Krise des Weltfinanzsystems, die direkt in eine Demokratiekrise mündete.

Die Hoffnungen des Arabischen Frühlings von 2011 sind zerstoben, in Ägypten sitzt die Armee wieder fest im Sattel, Libyen - und noch viel schlimmer - Syrien versinken im Chaos. In Europa und im Nahen Osten verbreiten nihilistische Extremisten Terror und Panik.

Dazu kommt: So wenig Zukunft war noch nie. Die EU taumelt, torkelt und sieht tatenlos zu, wie Europa aus den Fugen gerät. Der republikanische US-Präsidentschaftswerber Donald Trump verspricht keinen "Morning in Amerika", sondern will im November mit Dystopien punkten. Die nihilistischen Terroristen des Islamischen Staates, auch Daesh genannt, streben danach, jeden Funken Hoffnung auf friedliches Zusammenleben auszulöschen. Stattdessen wollen sie mit ihren Taten die Zurüstung auf den Kampf der Kulturen fördern.

Die Welt bräuchte heute mehr denn je standhafte, aufrechte und besonnene Staatenlenker, die den verunsicherten Bürgern Halt und Orientierung geben. Allein die immense Herausforderung des Klimawandels ruft nach globaler Kooperation historischen Ausmaßes, nicht Konkurrenz. Doch nach alldem sieht es nicht aus: Krawall-Populisten und Demagogen greifen nach der Macht oder haben sie bereits in Händen - mit diesen Figuren ist freilich an Problemlösung nicht zu denken. Von Mark Twain stammt der Ausspruch: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich." Und so drohen die Geister der Vergangenheit zu Gespenstern der Zukunft zu werden.