Ökonomin: Bald kommen zu wenige Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt nach. | Verpflichtendes soziales Jahr wäre als "Zwangjacke" unvorstellbar. | Krems/Wien. Noch bis inklusive 2011 bietet sich ein letztes optimales Zeitfenster für eine Umstellung von der Wehrpflicht auf ein Freiwilligenheer. Der Grund liegt in der demografischen Entwicklung: Heuer, aber auch noch nächstes Jahr, kommt nämlich eine große Zahl von 19- und 20-Jährigen (die Kinder der Babyboom-Generation) auf den Arbeitsmarkt. Ab 2012 bricht dieser Anteil jedoch rasant ein, sagt Arbeitsmarktexpertin Gudrun Biffl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Jetzt wäre der beste und letzte Zeitpunkt für eine Heeresreform."
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Würde ein Berufsheer geschaffen, so könnte dies der derzeit hohen Jugendarbeitslosigkeit sogar abhelfen, sagt Biffl. Wenn mit einem Freiwilligenheer - wie in Ländern wie den USA, Frankreich, Niederlande oder Großbritannien vorexerziert - zusätzliche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten einhergehen, so könnte diese berufliche Option für Jugendliche attraktiv sein, die derzeit nicht oder nur bedingt wettbewerbsfähig seien. Insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund würden erfahrungsgemäß oft Heereskarrieren anstreben.
Arbeitskräftemangel
Biffl erwartet, dass mit der Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes ab Mai 2011 noch einmal zusätzliche Hilfsarbeiter aus dem Osten auf den Markt kommen. Schon wenige Jahre später werde sich der Arbeitskräfteüberschuss aber in einen Mangel kehren: Längerfristig wird der Arbeitsmarkt nicht unter zu vielen, sondern zu wenigen jugendlichen Arbeitskräften leiden.
Mit dem Aus der Wehrpflicht würden freilich auch die Zivildiener, auf die die Hilfsorganisationen angewiesen sind, wegfallen. Zivildiener hin oder her: Bei sozialen Dienstleistungen und im Pflegebereich bestehe ohnehin seit Jahren ein massiver Reformdruck, der endlich angegangen werden müsste, sagt Biffl. Andere Staaten, die noch stärker von der Alterung der Gesellschaft betroffen seien, hätten die internationale Migration als Teil der Lösung erkannt: So holt sich Italien Inderinnen für Pflegedienstleistungen ins Land und bietet diesen attraktive Zukunftschancen. Japan fischt auf den Philippinen nach neuen Arbeitskräften.
Schulreform wäre nötig
Um in Österreich genügend junge Männer für den rasch wachsenden Bereich der Pflegeberufe zu gewinnen, sei dringend eine schulische Reform notwendig.
Derzeit fielen die Jugendlichen nämlich im Übergang von der Pflichtschule zur Ausbildung als Krankenpfleger, die erst mit 17 Jahren ansetzt, in ein einjähriges Zeitfenster, in dem sie sich für andere Jobs entscheiden. Es sei eine Illusion, dass sich ein Jugendlicher nach begonnener Lehre im Gewerbe oder Handel nachträglich für einen Pflegeberuf entscheide, sagt Biffl. Sie würde die Haushaltungsschule, die fast nur junge Frauen anspricht, in eine Fachschule für Sozial-, Pflege- und Gesundheitsberufe umorientieren.
Dass die Zivildienstleistenden in den Hilfsorganisationen durch ein soziales Jahr ersetzt werden könnten, glaubt sie nicht: Ein verpflichtendes soziales Jahr für die gesamte Bevölkerung komme aus demokratiepolitischen Gründen nicht in Frage: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Zwangsjacke durch eine andere ersetzt wird", sagt Biffl. "Jeder phantasiert sich gern Sklaven herbei. Diese Zeiten sind aber vorbei." Eine Regierung, die Jugendliche für ein ganzes Jahr zwangsverpflichten wolle, müsse sich auf Demonstrationen einstellen.
Gegen einen Zwang sprechen laut Biffl noch andere Bedenken: "Man muss sich auch überlegen, welchen Rückschritt das für die Professionalisierung der Sozial- und Pflegeberufe bedeuten würde." Diese gehörten schließlich zu den anstrengendsten und forderndsten Berufen: "Oder würden Sie die Pflege Ihrer Großmutter einem Jugendlichen anvertrauen, der dazu gezwungen wird - und wo man nie weiß, was ihm einfällt?"