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Das Zentrum wankt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Alle reden von den Autoritären, Beinahe-Diktatoren, Verrückten und Scharlatanen, also von Erdogan, Putin, Trump, von Johnson, Farage, Le Pen, von Wagenknecht und Grillo. Und fürchten deren Kampfansage an die verbliebenen Bastionen der liberalen Demokratie.

Der Blick auf die Ränder täuscht, es ist der Zustand des Zentrums, der den westlichen "way of life" von innen heraus ins Wanken bringt. Dieser kreist - politisch jedenfalls - um die Idee der parlamentarischen Demokratie, die mithilfe von Kompromissen die zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Spannungen und Gräben überwinden will. Nur einige Beispiele:

Spanien drohen die dritten Parlamentswahlen binnen neun Monaten, weil sich die Parteien nicht auf eine Regierung einigen. In Frankreich versucht die Regierung, eine Arbeitsmarktreform mit einem verfassungsrechtlichen Trick - nämlich ohne Parlamentsbeschluss - durchzubringen. In Großbritannien hat sich der Premier mit einem selbst initiierten Brexit-Referendum aus dem Amt katapultiert und damit gleich das Parteiensystem gegen die Wand gefahren. Italiens Koalition hält allein die Angst vor Neuwahlen zusammen; anschließend hätte wohl die Partei eines ehemaligen Komikers mit seltsamen Ansichten die besten Chancen zu regieren. In Athen ändern die Linkspopulisten - von außen relativ unbemerkt - zum eigenen Nutzen das Wahlrecht und entsorgen mit dem Mandatsbonus für die stärkste Partei einen der wenigen stabilisierenden Faktoren. Und in der Führungsmacht des demokratischen Westens, den USA, macht Trump der Republikanischen Partei den Garaus - und lässt darob vergessen, wie gespalten auch die Demokraten sind und wie wenig Clinton dazu taugen wird, die Nation zu einen.

Ein Kompromiss ist in den Augen erschreckend vieler politischer Kräfte nicht länger ein erstrebenswertes Ziel, sondern Eingeständnis der eigenen Schwäche, ein Verrat an den eigenen Werten und Haltungen. Wer nicht bedingungslos für die eigene Sache steht, kämpft gegen diese.

Diese Rhetorik hat sich zuerst in Wahlkämpfen durchgesetzt, die einst noch augenzwinkernd als "Zeit fokussierter Unintelligenz" (© Michael Häupl) galten. Damit ist es vorbei. Die Politik kennt zunehmend nur noch eine Wahrheit. Das Ende der parlamentarischen Demokratie ist, wenn alle - Parteien, Wähler, Medien - so weitermachen, nicht länger ein Hirngespenst.