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Vor 100 Jahren starb Carl Hagenbeck, ein Pionier des modernen Zoos.
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Die Sache ist natürlich ein zweischneidiges Schwert - wie so vieles. Es sind wahrlich nicht nur radikale Tierschützer, etwa die Aktivisten der umstrittenen Tierrechtsorganisation PETA, die Zoos als Tiergefängnisse betrachten, wenngleich das mitunter gebrauchte Schlagwort vom "Tier-KZ" allzu leichtfertig angewendet wird: Nicht, weil man Mensch und Tier nicht vergleichen kann, ist es unpassend, sondern weil kein Zoo auf der ganzen Welt und zu keiner Zeit jemals errichtet wurde in der Absicht, Tiere zu quälen und auf bestialische Weise zu töten. Dass Zoos bis in unsere jüngere Vergangenheit hinein Tieren durch wenig artgerechte Haltung Qualen zufügten, ist dabei unbestritten, allerdings entsprangen diese Qualen der Unwissenheit, nicht der Absicht.
Zoo, das bedeutet aber auch - lassen wir die leuchtenden Kinderaugen und ähnliche Klischees einmal beiseite (was kann ein Tiger dafür oder ein Affe, wenn Kinderaugen, was sie aber noch nicht wissen können, bei seinem Anblick nicht leuchten, sondern weinen sollten über das der Freiheit beraubte Wildtier): Zoo also bedeutet auch die Möglichkeit der Bewahrung von bedrohten Arten. Davidshirsche, Kalifornische Kondore, Oryxantilopen, Przewalskipferde und Wisente etwa wären ohne die Nachzuchtprogramme in den Zoos ausgestorben. Dementsprechend definierte der Schweizer Zoologe Heini Hediger die Aufgaben des Zoos mit den vier Schlagwörtern Naturschutz, Bildung, Forschung und Erholung. (Gegner von Zoos wenden an dieser Stelle freilich ein, dass die gemeinte Erholung ganz ausschließlich die des Menschen ist.) Der moderne Zoo ist wissenschaftliche Forschungsstätte und Publikumsmagnet gleichermaßen.
Sagt man "Zoo", meint man - ja, gewiss auch Schönbrunn, oder manch einen anderen, für den man eine gewisse Leidenschaft hegt (mein persönlicher Favorit ist Nürnberg), aber es ist und bleibt auch ein Synonym für Hagenbeck. "Tierpark Hagenbeck" nennt sich der Hamburger Zoo jetzt in einer kleinen Variation von (was macht man nicht alles, um den Genitiv aus der deutschen Sprache zu entfernen?) "Hagenbecks Tierpark" , als der er am 7. Mai 1907 im Hamburger Stadtteil Stellingen eröffnet worden war.
Carl Gottfried Wilhelm Heinrich Hagenbeck, dessen Todestag sich eben zum 100. Mal jährte, hatte von seinem Vater sowohl den Fischhandel als auch eine kleine Tierschau mit Seelöwen übernommen. Vom Fischhandel stieg er auf den Lebendtierhandel um, den er mit Tierschauen und später, 1887, mit einem Zirkus verband. 1896 ließ er sich seine Erfindung eines Zoos ohne Gitter patentieren. Der "Tierpark ohne Gitter" machte Hagenbeck zur Legende. Erstmals konnten Tiere in einer Umgebung gezeigt werden, die ihrer natürlichen soweit als möglich nahekommt.
Bomben auf Tiere
1943 wurde während der Operation Gomorrha der gesamte Park durch Fliegerbomben zerstört. Die Familie Hagenbeck investierte Unsummen zum Wiederaufbau, den sie auch gleich für Verbesserungen nützte. Elefanten aus dem Zoo wurden übrigens nach Kriegsende für die Beseitigung von Trümmern eingesetzt - und das keineswegs nur auf dem Zoogelände, sondern auch in der Hamburger Innenstadt.
Zum Eklat kam es 1992: Es war die Zeit, als viele große Zoos sich an US-amerikanischen Vorbildern orientierten und Delfinschauen anboten, obwohl man genau wusste, dass daran ausschließlich die Zuschauer Vergnügen fanden, und auch nur, weil sie um das komplexe Seelenleben der Tiere nicht wussten. Bei einer Vorführung starb der Tümmler Sindbad - und sein Tod bestätigte die Proteste der Tierschützer. Die damals ebenso wie heute immer noch in der Hand der Familie Hagenbeck befindliche Direktion der Tierpark Hagenbeck GmbH zog die Konsequenzen, riss das Delfinarium ab und baute an die Stelle ein Tropen-Aquarium und einen Anbau am Elefantenhaus. Die Affäre ist der einzige dunkle Punkt in der Geschichte des Hamburger Zoos.
Seinem Gründer werden indessen durchaus Vorwürfe gemacht: Immerhin waren auch sogenannte Völkerschauen Teil seines Tierparks. Da gab es zu den Tieren aus Afrika und Südostasien die Menschen gleich dazu. Ihre traditionellen Tänze und Rituale mussten sie zeigen - und das für eine Bezahlung, die nicht einmal den Ausdruck "Hungerlohn" verdient. Aber drückt sich darin wirklich übler Rassismus aus? Oder schwamm Hagenbeck nur ganz oben auf der Welle, den Menschen seiner eigenen Heimat gegen gutes Geld Fernes und Fremdes nahezubringen? Weiter darüber nachzudenken, lag noch nicht in der Zeit. Kann man einem 1844 Geborenen also tatsächlich solche Vorwürfe machen? Oder macht man sie ihm nur, weil er eben Deutscher war, und man in solchen Fällen stets nur aus der Kenntnis dessen urteilt, was knapp 100 Jahre später geschah?
Beispiel Sonnenkönig
Wesentlich vernünftiger wäre indessen die Diskussion, ob der Zoo wirklich noch in unsere Zeit passt. In Europa war Heinrich III. von England (1207-1272) mit einer Menagerie im Tower of London ein Vorreiter des Tierparks. Nicht allein die Geschöpfe der damals bekannten Welt wollte er zeigen - es war sein Versuch, das verlorene Paradies der Bibel, in dem Menschen und Tiere friedlich nebeneinander lebten, wieder zusammenzusetzen. Das Ergebnis konnten zwangsläufig nur Trümmer dieses Paradieses sein - mit Gittern zwischen Mensch und Tier, mit Gefangenschaft statt Freiheit, mit ängstlichem Kribbeln auf menschlicher und erzwungener Unterwerfung auf tierischer Seite.
Die Menagerie im Tower machte vorerst keine Schule. Das änderte sich erst im 17. Jahrhundert, denn irgendwie wollten alle gekrönten Häupter den Sonnenkönig imitieren: Bei ihm hatte die absolute Macht zur Prachtentfaltung geführt - kann es auch umgekehrt funktionieren, also Prachtentfaltung zu absoluter Macht führen (oder diese zumindest vortäuschen)?
Jedenfalls ließ Ludwig XIV. 1682 den Jagdpavillon im Schlosspark von Versailles zu einem Komplex aus Gehegen ausbauen, in denen er seinen erlauchten Gästen exotische Tiere zeigte: Frankreich ist auf der ganzen Welt präsent und bändigt sie hinter Gittern. Das hatte durchaus etwas von einem Symbol.
Franz I., Kaiser des hl. römischen Reichs und Ehemann der österreichischen Erzherzogin Maria Theresia, imitierte die Versailler Anlage mit der 1752 gegründeten Privatmenagerie bei Schloss Schönbrunn. Sein Nachfolger Josef II. machte die Anlage dann 1778 öffentlich zugänglich. Schönbrunn ist damit der älteste heute noch erhaltene Zoo der Welt. Mitte des 19. Jahrhunderts wechselte der Tierpark von der Seite des Adels auf jene des Bürgertums, und entsprechende Gründungen gab es bald, speziell in Deutschland, in jeder mittleren und größeren Stadt. Eine weitere Welle von Zoo-Neugründungen in Europa folgte in den 1930er Jahren.
Gerade Schönbrunn zeigt aber in seinen historischen Gehegen auch das Elend der Tiere in den Zoos früherer Zeiten: Die artgerechte Haltung war keine Nebensache - sie war nicht einmal ein Thema. Raubkatzen (aber nicht nur sie) mussten auf engstem Raum auskommen, was zu schweren Verhaltensschäden führte: "Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht, / ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht." Rainer Maria Rilke, der dies dichtete, siedelte seinen "Panther" zwar im Pariser "Jardin des Plantes", dem Nachfolger der Versailler Menagerie, an, hätte es aber auch - bis tief ins 20. Jahrhundert - über Schönbrunn schreiben können.
"Artgerecht" ist eine Illusion
Insoferne, so zynisch es sein mag, waren Hagenbecks "Völkerschauen" für die Tiere ein Gewinn. Denn der clevere Hamburger wollte eben die exotischen Lebewesen, egal, ob Mensch oder Tier, in möglichst natürlicher Umgebung zeigen. Gitter und gemauerte Böden waren unpassend, wenn man Busch und Savanne suggerieren wollte.
Dass selbst eine moderne Zoohaltung, wie sie auch in Schönbrunn längst Einzug gehalten hat, dennoch niemals völlig "artgerecht" sein kann, wissen selbstverständlich auch die Fachleute. Aber sind die Sex- und Tötungsorgien der als "Dokumentationen" verkauften Fernseh-Tierpornos tatsächlich eine Alternative? Was berührt die Seele stärker: Das Bild eines Bären oder ein Bär? Bis zur Wiederkehr des Paradieses müssen wir also mit dem Zoo als Ort der Begegnung zwischen Mensch und Wildtier wohl vorlieb nehmen.