Zum Hauptinhalt springen

Das Ziel ist fix, der Weg umstritten

Von WZ-Korrespondent Wolf H. Wagner

Politik
Silvio Berlusconi (Mitte rechts) versucht, Angela Merkel zu helfen. Brasiliens Präsident da Silva (hinten) sorgt sich um die Trittfestigkeit des "Cavaliere". Medwedew und Obama greifen nicht ein. Foto: reu

Nach den G8 stimmen auch Schwellenländer für Stopp der Erderwärmung. | Wie die Treibhausgase reduziert werden, ist offen. | China und Indien wollen ihr Wachstum nicht gefährden. | LAquila. In ihrem Bemühen um eine Begrenzung der globalen Erdwärmung erzielten die Staats- und Regierungschefs der G8 am Donnerstag in LAquila einen Teilerfolg. Sie konnten die wichtigsten Schwellenländer dazu veranlassen, dem Ziel zuzustimmen, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad über den Stand zu Beginn des Industriezeitalters zu begrenzen. Das verlautete im Laufe des Donnerstag aus diplomatischen Quellen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der am ersten Gipfeltag vereinbarten Halbierung der Schadstoffemissionen bis 2050 wollten die an hohem Wirtschaftswachstum interessierten Schwellenländer aber nicht folgen.

Schwellenländer setzen weiter auf Wachstum

Das Gipfeltreffen der führenden Industrienationen, kurz G8 geheißen, hat sich am Donnerstag auf "G16" erweitert. Zur Runde der großen Acht stoßen die G5: Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika sowie Australien, Indonesien und Südkorea. Wie bereits am ersten Tag ging es auch am Donnerstag um den Klimawandel.

Auch Dänemark - Gastgeber der Weltklimakonferenz im Dezember - war zu den Gesprächen eingeladen. Bereits am ersten Tag hatten die acht Teilnehmerstaaten erklärt, bis 2050 wolle man weltweit den Ausstoß von Kohlendioxid um 50 Prozent reduzieren, um die Erderwärmung auf einen Anstieg um zwei Grad zu begrenzen. Einzelheiten sollen auf dem kommenden Septembergipfel der G20 in Pittsburgh vereinbart werden und auf der Kopenhagener Klimakonferenz zum Jahresende in ein internationales Klimaprotokoll einfließen, das das bisher gültige Kyoto-Protokoll ablösen soll. An Kyoto hatten sich die USA nicht beteiligt, am Kopenhagener Protokoll wollen sie hingegen aktiv mitgestalten.

China und Indien allerdings signalisierten in L'Aquila, sie seien mit den ihnen zugesprochenen Emissionsgrenzen nicht einverstanden. Beide Länder beharrten darauf, ein für die Ernährung von Millionen von Menschen erforderlichen Wirtschaftswachstum vorantreiben zu müssen.

Die Vereinten Nationen und Umweltschutzorganisationen kritisierten die Klimaschutz-Ziele der G8-Staaten als halbherzig. Die Beschlüsse reichten nicht aus, um gegen den Klimawandel anzugehen, erklärte UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.

Auch die Internationale Energieagentur (IEA) beklagte, die Beschlüsse griffen zu kurz. Aus Sicht der Behörde müssen die Investitionen in Energie-Effizienz um ein Vierfaches steigen, um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Dies würde zusätzliche Investitionen von 400 Milliarden Dollar in jedem der nächsten 20 Jahre erfordern.

Die Beratungen über die Lebensmittelversorgung und über Hilfen für die ärmsten Länder waren am Donnerstagabend noch zu keinem Ergebnis gekommen. Ein Berater von US-Präsident Barack Obama erklärte, dass die zur Verfügung gestellten Finanzmittel noch nicht festgelegt seien, aber sich auf etwa 15 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von drei Jahren belaufen könnten. Der Beitrag der USA könnte drei Milliarden Dollar betragen.

Mit Vertretern der Welthandelsorganisation WTO wurde über den Fortgang des Doha-Abkommens beraten. Doch auch hier wurden verbindliche Normen vor allem für den Handel mit den Entwicklungsländern auf den G20-Gipfel vertagt.

Gastgeber Berlusconi frohen Mutes - Presse jammert

Im Übrigen stand der zweite Beratungstag im Zeichen bilateraler Treffen. Ein sichtlich gut gelaunter Silvio Berlusconi erklärte, Italien sei ein würdiger Gastgeber. Fragen der Journalisten waren allerdings nicht zugelassen.

Im Pressezentrum diskutieren indes Medienvertreter die Situation des italienischen Regierungschefs. Einige Journalisten äußerten Unverständnis, wie er trotz seiner persönlichen Skandale noch im Amt sein könne. Bemängelt wurde auch die geringe Bewegungsfreiheit für die Presse.

In der Stadt LAquila gingen die Proteste der Bevölkerung weiter. Frauen aus den Zeltstädten rings um den abruzzischen Hauptort machten die Politikergattinnen mit Transparenten auf die desolate Situation der Familien rund um LAquila aufmerksam.

Wissen: G8, G5, G20

(sf) Die Gruppe der Acht (G8) befasst sich mit Fragen der Weltwirtschaft, die bei jährlichen Gipfeltreffen besprochen werden. Die G8 entwickelte sich aus den G6, die 1975 angesichts der Ölkrise als informelles Treffen gegründet wurde. Zur Gruppe der sechs führenden Industrienationen USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien kamen 1976 Kanada und 1998 offiziell Russland dazu. Seit 1978 nimmt die EU an den Treffen teil. Die G8-Staaten stellen aktuell zwar nur 13 Prozent der Weltbevölkerung, aber 47 Prozent des Weltsozialprodukts.

Da globale Probleme kaum ohne die aufstrebenden Schwellenländer zu lösen sind, hat die G8 im Jahr 2007 in Heiligendamm einen Dialog mit der Gruppe der Fünf (G5)begonnen. Dazu gehören China, Indien, Brasilien, Südafrika und Mexiko. In diesen Ländern leben 43 Prozent der Bevölkerung, die 21 Prozent der kaufkraftbereinigten Weltwirtschaftsleistung erbringen.

Im Heiligendamm-Prozess wurde vereinbart, dass die G5 einen Tag am G8-Gipfel teilnehmen. Der Prozess wurde zunächst auf zwei Jahre angelegt und soll bis 2011 verlängert werden. Während die G5-Länder 2007 und 2008 nur bei einer Sitzung teilnahmen, waren sie in L'Aquila einen ganzen Tag dabei.

G20 entwickeln sich zum Hauptakteur

Zusätzlich wurde Ägypten eingeladen. Am Donnerstag Nachmittag nahmen auch Indonesien, Südkorea und Australien teil. Diese erweiterte Gruppe heißt "Major Economies Forum", das Forum der größten Volkswirtschaften.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich dafür ein, die G20 zum wichtigsten Entscheidungsgremium für globale Fragen zu machen. Bisher hat sich die G20 auf Finanz- und Wirtschaftsfragen konzentriert. Sie umfasst die stärksten Industrienationen und aufstrebende Volkswirtschaften und repräsentiert nach Eigenangaben zwei Drittel der Weltbevölkerung und 90 Prozent der globalen Wirtschaftskraft. Die G20-Mitglieder sind Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei, Großbritannien, die USA und die EU.