Was verpflichtende Beratungen von Gefährdern für den Opferschutz bringen, erklärt Neustart-Sozialarbeiter Christian Brickmann.
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Opferschutz kann auch beim Gewalttäter ansetzen. Seit Anfang September müssen alle Gefährder, die gegenüber Familienmitgliedern gewalttätig wurden, nach Wegweisungen und Annäherungsverboten zu gesetzlich verpflichtenden Beratungsgesprächen - in fünf Bundesländern beim Verein Neustart. Christian Brickmann führt in der Steiermark solche Gespräche mit Gefährdern, 90 Prozent davon sind übrigens Männer - und erklärt im Interview mit der "Wiener Zeitung", was diese bringen (sollen).
"Wiener Zeitung": Die Beratung ist nicht freiwillig, mit welcher Einstellung kommen die Gefährder zu Ihnen?
Christian Brickmann: Das ist schwierig zu beantworten, da es den typischen Gefährder nicht gibt. Die Bandbreite reicht von Männern, die erstmalig gewalttätig sind, die von sich selbst erschrocken und sehr offen für Gespräche sind, über welche, die in einer Krise stecken mit viel Gesprächsbedarf, bis hin zu einem zwar kleinen, aber doch vorhandenen Teil, der davor bereits mehrfach gewalttätig war, eher mit einer verweigernden Haltung kommt und die Taten bagatellisiert.
Sprechen wir über die erste Gruppe, weil diese größer ist, zuerst: Warum wurden diese Männer gewalttätig?
Die Auslöser sind individuell sehr unterschiedlich. Oft ist es eine überfordernde Situation, eine Kurzschlussreaktion oder aufgestauter Frust - wir arbeiten das mit den Tätern heraus, damit sie diese Tathandlung künftig vermeiden können.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für so einen Auslöser?
Oft erzählen uns die Männer, sie hatten das Gefühl, in einem Streit verbal unterlegen zu sein, und setzten Gewalt als Mittel ein, um sich durchzusetzen. Das ist bei Gewalt in der Familie häufig so. Viele erzählen auch von einem anstrengenden, frustrierenden Tag davor, zum Beispiel einem Strafzettel bei der Heimfahrt. Viele sagen später auch, dass es gar nicht um die Situation zu Hause ging, sondern die Gewalt ein Ventil war, den Frust von davor abzulassen. Da geht es natürlich darum, ein anderes angemessenes und legales Ventil zu finden.
Wie kann so ein Ventil aussehen?
Jeder muss seinen Weg finden, mit Stress umzugehen. Manchen hilft Sport, anderen spazieren zu gehen. Manche müssen auch nur verbalisieren, dass sie kurz nach dem Heimkommen einige Minuten Ruhe brauchen. Einige müssen auch nur einmal tief durchatmen. In der Regel wissen unsere Klienten ganz genau, was sie in belastenden Situationen runter holt. Sie legen ja auch dem Chef keine auf, wenn er in ihren Augen Stress verursacht.
Gibt es da gar keinen Widerstand?
Natürlich gibt es auch Widerstand. Manche sagen, sie seien provoziert worden, sehen nicht ein, warum sich die Polizei in ihr Privatleben einmischt, und fühlen sich ungerecht behandelt. Es kommt vor, dass Männer, die wegen einer Drohung weggewiesen wurden und Teller kaputt schlugen, sagen: "Ich habe ihr ja gar nichts getan, ich habe ja nur blöd geredet."
Was machen Sie, wenn einer zum Beispiel sagt: "Na, die wird schon noch sehen, wohin das führt . . ."?
Eine klare Gewaltandrohung würden wir selbstverständlich melden. Wenn es nicht so eindeutig ist, fragen wir nach: "Was meinen sie damit?" Wenn er damit meint, dass er sich scheiden lassen will, ist das etwas anderes, als wenn es eine Drohung ist. Wir suchen nach Indizien, um das Risiko einer Gefahr besser einzuschätzen: Wie verhält sich der Klient uns gegenüber, ist er einsichtig, oder nicht? Wie steht er zu dem, was er getan hat? Gab es Vorfälle in der Vergangenheit, Alkohol- oder Drogenkonsum? Versucht er, das Opfer jetzt zu kontrollieren? Gibt es Verstöße gegen ein Annäherungsverbot? Das sind Faktoren, die uns dabei helfen. Wenn wir ein erhöhtes Risiko sehen, melden wir das der Behörde oder der Polizei, regen auch Fallkonferenzen an, wenn es besonders gefährlich werden könnte. Klar ist aber, es werden immer Normen verdeutlicht.
Was ist eine Normverdeutlichung?
Wir machen klar, dass auch Drohungen und Nötigungen aus gutem Grund strafbar sind, auch ohne Körperverletzung. Das ist oft schon ein Aha-Effekt.
Wie erklären Sie dem Täter, dass eine Drohung auch nicht erlaubt ist?
Sie haben Ihre Frau in Furcht und Angst versetzt. Das ist nicht nur ein unangenehmes, sondern auch belastendes Gefühl, gerade von einer Person, die man liebt. Man verliert das Vertrauen, zu Hause sicher zu sein und in sich als Person. Diese psychische Gewalt ist nicht weniger schlimm als körperliche. Sie kann krank machen, hat Langzeitfolgen und verstört auch Kinder, die das mit kriegen, in ihrer Entwicklung. Weil das Kindeswohl gefährdet ist, wird bei Wegweisungen auch die Kinder- und Jugendhilfe informiert.
Mitwirken ist ja Pflicht. Wie stellen sie fest, dass der Gefährder mitwirkt?
Gute Frage. Wenn sich jemand vor mich hinsetzt und sagt: "Ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt" - da ist es natürlich eindeutig, dass das nicht ausreicht. Wenn es nicht so klar ist, achten wir als Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen darauf, wie der Klient reagiert. Fragt er bewusst nach? Geht er beim zweiten nochmals auf den ersten Termin ein? Hat er sich mit dem beschäftigt, was wir besprochen haben? Viele nehmen das Angebot aber auch gerne an, sprechen über das, was sie belastet. Viele wollen auch zeigen, dass sie keine Verbrecher sind. Wir arbeiten aber ohnehin immer nach dem Grundsatz: "Achte den Täter, aber ächte die Tat."
Es geht aber nicht darum, das Selbstbewusstsein des Täters zu stärken?
Nein, es ist ein wesentlicher Teil des Opferschutzes, mit dem Täter zu arbeiten, um weitere Gewalttaten zu verhindern, denn dann gibt es auch keine Opfer mehr. Da geht es auch nicht um Streicheleinheiten, wir arbeiten mit den Gefährdern durchaus konfrontativ, sind klar in der Normverdeutlichung und beim Aufzeigen der Konsequenzen. Wir arbeiten auch mit den Opferschutzeinrichtungen zusammen, wenn das beide Seiten wünschen - immer mit dem Ziel, weitere Opfer und weitere Gewalt zu verhindern. Wichtig ist aber: Ein akutes Risiko wird natürlich auch ohne die Zustimmung des Gefährders gemeldet, damit Opferschutzeinrichtungen, das Frauenhaus oder die Polizei einen Sicherheitsplan erarbeiten können. Da spielt dann Datenschutz klarerweise keine Rolle.
Was können Sie eigentlich in sechs Stunden erreichen?
Bei der Normverdeutlichung geht doch einiges in den sechs Stunden. Wir können aber auch keine Wunder erwirken. Eine grundlegende Verhaltensänderung, eine Therapie dauert länger. Wir vermitteln deshalb auch weiter in Antigewalttrainings, an die Männerberatung, wo sie danach längerfristig an sich arbeiten können.
Was ist aber mit jenen, die bereits mehrfach gewalttätig wurden und so überhaupt keine Einsicht zeigen?
Auch hier geht es darum, den Gefährder zu motivieren, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Wenn wir unmittelbar nach der Beratung ein hohes Rückfallrisiko sehen, melden wir das den Behörden, damit diese weitere Maßnahmen setzen können. Wenn jemand zwar kooperiert, aber nichts oder wenig von dem annimmt, ist unser Auftrag nach sechs Stunden allerdings ebenfalls vorbei. Unser Eindruck ist, dass wir sehr viel erreichen können, aber nicht bei jedem und immer. Intensivtäter sehen wir allerdings auch nach einer Verurteilung wieder. Im Rahmen der Bewährungshilfe kann an der Gewaltvermeidung gearbeitet werden - das dann drei Jahre lang und als vom Gericht angeordnete Auflage.
Was müsste man davor tun, damit es überhaupt nicht zu Gewalt kommt?
Das Um und Auf ist, schon mit Burschenarbeit bei Jugendlichen anzusetzen. Sie müssen ganz klar sehen, dass Gewalt keine Lösung ist. Das Bild von den durchsetzungsstarken Männern in der Familie als Ideal, das muss erschüttert werden. Schon die Jugendlichen sollten sehen, dass das nicht notwendig ist. Und die Mädchen sollten "empowert", also gestärkt werden, damit auch sie wissen, dass es keine starken und schwachen Geschlechter gibt und sie keinen Beschützer brauchen. Wir und auch die Gewaltschutzzentren können erst dann ansetzen, wenn schon was passiert ist. Um das möglichst zu verhindern, muss man schon in der Jugend ansetzen.
Notrufnummern
Polizei: 133
Frauenhelpline gegen Gewalt:
0800/222 555
24-Stunden-Frauen-Notruf:
01/71 71 9
Männernotruf:
0800/246 247
Männer-Krisenhotline:
0800/400 777