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Betroffene leiden neben Krankheiten an den Vorurteilen. | Immer häufiger: Nebenwirkungen von Arzneimitteln. | Wien. "Nerverl", "Angsthase", "Alkoholiker". Wenn Menschen zittern, kann dies viele Ursachen haben: Neurologische und psychische Leiden, Nebenwirkungen von Medikamenten oder auch nur vom Kaffeegenuss. Doch aus Unkenntnis sind nicht einmal Ärzte vor Vorurteilen gefeit und nur allzu rasch zur Verdachtsdiagnose "Suchtabhängigkeit" bereit. Für die Betroffenen ein Horror, führt ihre Grunderkrankung doch ohnehin in vielen Fällen dazu, dass sie in soziale Isolation geraten.
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Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Angst- und akute Belastungsstörungen sind - abgesehen vom normalen, physiologischen Zittern infolge eines Reizes wie Aufregung, Kälte oder Muskelüberanstrengung - nur einige der zahlreichen Auslöser für den Tremor. Hinzu kommen Arzneimittel wie Neuroleptika und Anti-Depressiva, zu deren hauptsächlichen Nebenwirkungen unkontrollierbare Schweißausbrüche und Zittern gehören. In Österreich erhalten durchschnittlich zwischen zehn und 15 Prozent der Sozialversicherten im erwerbsfähigen Alter von 41 bis 60 Jahren Medikamente gegen Depressionen, die Anzahl der Verschreibungen steigt mit zunehmendem Alter und Geschlecht (bei Frauen öfter).
Belastende Erbschaft
Nach wie vor am häufigsten unter den neurologischen Bewegungsstörungen ist indessen der sogenannte Essentielle Tremor (ET). Hier deutet nun eine genomweite Assoziationsstudie in Kooperation mit dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (Universitätsklinikum Tübingen) auf neue Einflussfaktoren in der Entstehung hin. Die Ergebnisse dieser Studie, die jüngst online in "Nature Genetics" veröffentlicht wurde, beruhen auf Untersuchungen an 752 Patienten und mehr als 15.000 Kontrollen aus vier Ländern (Island, Österreich, Deutschland und USA).
Wie sich zeigte, sind rund fünf Prozent der Bevölkerung vom Essentiellen Tremor betroffen. Die Störung äußert sich in einem Zittern, meist der Hände beim Halten von Gegenständen oder bei Bewegungen, sie kann sich bereits bei Jugendlichen zeigen, die meisten Patienten entwickeln die Erkrankung jedoch mit zunehmendem Alter vor allem jenseits des 50. Lebensjahres. Die Schwere der Erkrankung ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Nicht selten treten schwere Beeinträchtigungen im Alltag auf: Etwa aufgrund des Zitterns der Hände die Unfähigkeit, aus einem Glas zu trinken oder mit Besteck zu essen.
Wie sich nun herausstellte, tritt das Leiden typischerweise bei mehreren Familienangehörigen auf und wird in vielen Tremorfamilien mit 50-prozentigem Risiko auf die Kinder vererbt. Hierzu sind nun weiterführende Studien der Forscher im Gang.
Die genetische Untersuchungstechnik der genomweiten Assoziationsstudie basiert auf der Annahme, dass Variationen der Erbsubstanz die Entstehung einer Erkrankung begünstigen können, aber nicht alleine verursachen. Dabei werden genomweit mehrere hunderttausend Genvarianten von ET-Patienten mit gesunden, nicht an Tremor erkrankten Kontrollpersonen verglichen.
Bei Patienten aus allen vier Ländern konnte jedoch eine bestimmte Variante des Gens LINGO1 auf Chromosom 15 signifikant häufiger gefunden werden als bei Kontrollpersonen. Da man diese Risikovarianten allerdings auch bei vielen gesunden Personen findet, steigt das individuelle Risiko bei Vorhandensein der Varianten nur geringfügig. Eine genetische Diagnostik für den einzelnen Patienten oder eine Risikoabschätzung, ob man in Zukunft an ET erkrankt, falls andere Familienangehörige die Erkrankung bereits haben, ist somit im Augenblick noch nicht möglich.
Ignorierte Befunde
Derzeit ist freilich die Frage, um welche Art Tremor es sich handelt, immer noch das größte Problem für Ärzte und Betroffene. In vielen Fällen kann die Krankheit erst durch ihren Verlauf vom Neurologen diagnostiziert werden - also oft erst nach einigen Jahren. Nicht selten bleibt die Ursache dafür aber auch völlig unerkannt und wird bei Älteren als "Zipperlein" abgetan.
Zumindest Ärzte sollten aber besser Bescheid wissen, wie eine von sicher nicht wenigen Betroffenen feststellen musste: Schon der Vater litt unter ET - damals aber als Parkinson vermutet -, bei ihr kamen noch die genannten Nebenwirkungen eines Anti-Depressivums hinzu plus Angst infolge gravierender organisatorischer Pannen des Krankenhauses vor einer Operation. Urteil der Stationschefin wider alle vorliegenden Laborbefunde, die keinerlei Hinweis darauf gaben: Die Patientin müsse erst einmal ein paar Tage zur Entwöhnung ihres Alkoholismus stationär aufgenommen werden. - Die Betroffene flüchtete.