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Die größte Angst des Sechsjährigen ist, "dass Mama mit mir schimpft und ich zu Papa ziehen muss". Ängste, Wünsche und Werte deutscher Kinder wurden in einer Umfrage erforscht.
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Was geht in den kleinen Herzen und Hirnen der mehr als sieben Millionen deutschsprachigen Kinder zwischen 6 und 14 Jahren wirklich vor? Das wollte eine bekannte Kinderzeitschrift ermitteln und beauftragte zusammen mit der Unicef ein Meinungsforschungsinstitut, das auf Kinderbefragungen spezialisiert ist.
Wirklich überraschend sind die Ergebnisse zwar nicht - aber sie regen dennoch zum Nachdenken an. Denn sie widerspiegeln die großen Fragen unserer Zeit: Die hohen Scheidungsraten, Jugendgewalt, die Umweltgefahren, Krieg und Terror sowie die emotionale Erderkaltung im globalen Wettbewerb der Raffsüchtigen.
Freundschaft, Geborgenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen rangieren bei deutschen Kindern auf der Werteskala ganz oben. Hingegen spielen Geld, Ordnung und Durchsetzungsfähigkeit nur eine untergeordnete Rolle.
"Werte, Erwartungen und Ängste der Kinder sind zentrale Faktoren für ihr Wohlbefinden", erklärt Professor Hans Bertram von der Humboldt Universität in Berlin. "Die sozialwissenschaftliche Forschung in Deutschland muss deshalb die Perspektive der Kinder stärker einbeziehen."
Aus deren Perspektive sind gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und angesichts instabiler sozialer Beziehungen vor allem Geborgenheit und Orientierung wichtig. Die suchen sie in erster Linie bei Eltern und Großeltern, mit zunehmendem Alter auch bei Freunden. Im Vergleich zum ersten "GEOlino-Kinderwerte-Monitor" von 2006 hat aus Sicht der Kinder die Bedeutung traditioneller Institutionen für die Werte-Vermittlung zugenommen: Lehrer, Vereine und Kirchen.
"Werte" sind dabei für die Kinder durchaus nichts Abstraktes. So verstehen sie z.B. unter Toleranz, dass man nicht nur andere Meinungen akzeptiert, sondern auch Menschen anderer Nationalität. Auch das Gerechtigkeitsempfinden bildet sich früh heraus: Schon 4- bis 5-Jährige unterscheiden bereits zwischen unmoralischem Handeln (z.B. andere schlagen, etwas stehlen) und Verstößen gegen Konventionen (z.B. Tischmanieren, Regeln der Begrüßung, Kleidungsvorschriften).
Materielle Werte wie Geld und Besitz haben eine vergleichsweise geringere Bedeutung, obwohl sie für Buben noch etwas bedeutsamer sind als für Mädchen. Dieser Geschlechtsunterschied ist sicher bedingt durch die Vorbildfunktion des Vaters. Der Vater wird als Repräsentant der Familie in der Außenwelt gesehen und somit eher als die Mutter (Repräsentant für die Familienwelt) mit Geld und Besitz von Statussymbolen verknüpft.
Insgesamt werden Leistungsbereitschaft, Pflichtbewusstsein und Schulerfolg nach wie vor ernster genommen als der alleinige Wunsch nach Geld und Besitz. Kinder im Jahr 2008 zeigen eine äußerst realistische Einstellung und begreifen, dass man für das tolle Auto oder das schöne Haus auch selbst arbeiten muss, wofür wiederum eine gute Ausbildung Voraussetzung ist.
Die Befragung zeigt auch, dass sich viele Kinder mit Ängsten auseinandersetzen: So hat mehr als jedes zehnte Kind Angst vor der Schule. Nahezu ein Viertel fürchtet sich vor dem Verlust von Eltern oder nahen Angehörigen. Hierzu gehört auch die Angst vor Scheidungen. Oder vor der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Achtjähriger hat Angst, "dass ich die Schule nicht schaffe und dass ich mal keine Lehrstelle bekomme".
Kinder im Deutschland des Jahres 2008 leben jedenfalls nicht mehr in der romantischen Idylle, von der einst Albert Lortzings Zar sang: "O selig, o selig, ein Kind noch zu sein."