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Datenbank für EU-Polizeikräfte "am Sterbebett"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Mindestens 60 Millionen Euro weg. | Rechner stürzt regelmäßig ab. | Technische Probleme immer größer. | Brüssel. Seit mehr als zwei Jahren sollte das neue Schengen-Informationssystem (SIS II) bereits funktionieren. Allmählich wird jedoch klar, dass es höchstwahrscheinlich niemals dazu kommen wird. Zwar wollen die EU-Innenminister bei ihrem Treffen nächsten Freitag noch einmal eine Durchhalteparole ausgeben. "Die technischen Probleme werden aber eher größer als kleiner", hieß es in Brüssel.


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Das Projekt "liegt am Sterbebett." Weil die Chancen für einen positiven Abschluss eines für Dezember geplanten Tests des Zentralsystems in Straßburg schlecht stehen, versuchten der französisch/belgische Vertragspartner Steria/Hewlett-Packard und die EU-Kommission die Frist erneut zu erstrecken.

Die Geduld der Mitgliedsstaaten dürfte jedoch endgültig am Ende sein; vor allem Österreich und Deutschland bestehen darauf, das Millionengrab endlich zu schließen, wenn das neue System wieder nicht funktioniert. Mindestens 60 Millionen Euro wurden in den letzten fünf Jahren bereits in die Entwicklung von SIS II gesteckt, manche Schätzungen gehen von weit über 100 Millionen Euro aus. Allein 1,26 Millionen zusätzlich bekamen Steria/HP für die Vorbereitung des Dezember-Tests.

Kaputtes System

Konkret sollte der Zentralrechner dann nach unzähligen Verzögerungen einmal für 72 Stunden am Stück laufen, ohne abzustürzen oder Probleme mit der Datenverwaltung zu haben. Was nach einer relativ grundlegenden Anforderung für das Herzstück einer europäischen Fahndungsdatenbank klingt, hatte sich bisher stets als unmöglich erwiesen. Im Juni hatten die Innenminister schließlich beschlossen, dass die Weiterführung des Projekts von zwei entscheidenden Tests, sogenannten Meilensteinen, abhängig gemacht werden solle. Funktionierte das Zentralsystem Ende des Jahres oder spätestens im Jänner, wäre für Sommer 2010 ein Testlauf für das gesamte SIS II inklusive den nationalen Computersystemen anberaumt worden. Scheitert der erste Test, wie weithin erwartet wird, so können die Innenminister den Vertrag über die neue EDV innerhalb von zwei Monaten beenden. Experten meinen, dass die geplanten Funktionen von SIS II für die künftige Polizeizusammenarbeit in der EU aber unbedingt nötig sind. So sind in der bisherigen Datenbank zur Fahndung ausgeschriebene Personen mit Namen, Geburtsdatum und Dokumentennummern sowie gestohlene Fahrzeuge und Gegenstände erfasst. Das neue System sollte Personen auch anhand von Fotos und biometrischen Merkmalen wie Fingerabdrücken oder DNA-Profilen festhalten. Jemand, der ohne Papiere unterwegs ist, könnte so identifiziert werden. Darüber hinaus sollte das Sachregister auf Container, Baumaschinen und Wertgegenstände erweitert und Kreuzabfragen ermöglicht werden - einem flüchtigen Täter könnte etwa ein Fahrzeug zugeordnet werden.

Diese Funktionen sollen nach dem Scheitern von SIS II auf Basis des existierenden und funktionierenden Systems möglich gemacht werden. Dieses 13 Jahre alte Produkt wurde ursprünglich nur für maximal 18 Länder konzipiert; nachdem SIS II aber auf sich warten ließ, wurde es vor zwei Jahren für die Erweiterung des grenzenlosen Schengen-Raums um die neuen EU-Mitgliedsstaaten (außer Bulgarien, Rumänien und Zypern) adaptiert.