Herzratenmessungen liefern Einblick in die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit eines Menschen.
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Wien. Das Herz ist der Taktgeber des Menschen. Und so wie in der Musik Töne und Pausen in unterschiedlicher Länge aufeinanderfolgen, gibt es auch zwischen den Herzschlägen variable Intervalle. Mit winzig kleinen Veränderungen reagiert unser Pumporgan nämlich ganz selbständig auf innere und äußere - positive und negative - Reize. Gesteuert wird es dabei durch das autonome Nervensystem - jenes System, das unter anderem die lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel steuert und kontrolliert.
Das Phänomen dieser Veränderungen nennt man Herzratenvariabilität (HRV) und wurde 1965 erstmals von E.H. Hon und S.T. Lee publiziert. Die beiden Mediziner erkannten an den Intervallen zwischen den Schlägen eine Notsituation für ein Ungeborenes, noch bevor sich die Herztöne selbst veränderten.
Unter diesen Voraussetzungen stellt sich das Herz geradezu als ideales Messinstrument dar, wenn wir über unseren gesundheitlichen Zustand Bescheid wissen wollen. Vor allem in der ganzheitsmedizinischen Gesundheitsvorsorge wird der HRV ein immer höherer Stellenwert eingeräumt. Denn "das autonome, vegetative Nervensystem kann nicht lügen", betont Alfred Lohninger, Gründer und medizinischer Leiter der in Wien ansässigen Autonom Health GesundheitsbildungsGmbH.
Aktivität der Hauptakteure
Die Aktivität seiner Hauptakteure Sympathikus und Parasympathikus und deren Zusammenspiel geben Auskunft darüber, wie anpassungsfähig ein Mensch ist. Der Sympathikus bereitet den Organismus auf körperliche und geistige Leistungen vor, sorgt dafür, dass das Herz kräftiger schlägt, sich die Atemwege erweitern und die Darmtätigkeit abnimmt. Er macht den Körper bereit, zu kämpfen oder zu flüchten.
Der Parasympathikus wiederum steuert die Körperfunktionen in Ruhe und ist für die Regeneration verantwortlich. Er aktiviert die Verdauungstätigkeit und andere Stoffwechselvorgänge und liefert Entspannung.
Bei Gesunden befinden sich Leistungs- und Entspannungsnerven in einer gewissen Balance und sorgen für die nötige Anpassungsfähigkeit. Bei unliebsamen Einflüssen wie Krankheit, Stress oder Raubbau am eigenen Körper geht diese Anpassungsfähigkeit allerdings immer mehr verloren und die HRV ist gleichströmiger. Der Körper verliert seine Regenerations- und Leistungsfähigkeit und Krankheiten können sich manifestieren.
Eine 24-Stunden-Messung mittels Mini-EKG, das die Intervalle aufzeichnet, gibt daher nicht nur Auskunft über die geistige und körperliche Performance eines Menschen, sondern auch, ob die Reparatur- und Heilungsprozesse, bis hin zur täglichen DNA-Reparatur, stattfinden. "Mit der HRV kann man das objektiv messen, dokumentieren und vergleichen", betont Lohninger. Zum besseren Verständnis für den Patienten entwickelte Lohninger eine Software-Lösung, die das HRV-Diagramm als loderndes Feuer darstellt - als Lebensfeuer. Hierbei gilt: je bunter, desto besser.
Autonom Health hat bereits mehr als 25.000 Messungen in seiner Datenbank, mit denen sich Richtwerte vorgeben lassen. Hierbei kann nicht nur zwischen gesund und krank beziehungsweise überlastet unterschieden werden, sondern auch zwischen Mann und Frau, wie Lohninger betont. Denn die Ergebnisse der Lebensstilmessungen würden belegen, dass Frauenherzen tatsächlich anders schlagen. Nicht nur, dass das weibliche Organ kleiner und feiner ist, schlägt es noch dazu etwa vier Schläge pro Minute schneller als jenes der Männer. Und das über die gesamte Lebensspanne hindurch.
Frauenherzen schlagen anders
Geht es nach der HRV, dann zeigt sich bei Männern zwar mehr Power und Leistungsbereitschaft, bei Frauen allerdings eine bessere Regenerationsfähigkeit - und das sowohl am Tag als auch während der Nacht. "Frauen haben einen besseren Parasympathikus, der es ihnen ermöglicht, ökonomischer zu leben. Aus diesem Grund sind sie", so Lohninger, "auch belastbarer und besitzen damit mehr Ausdauer als Männer." Möglicherweise könnte dieser Vagus-Nerv (Parasympathikus) eine weitere Erklärung dafür sein, dass die Frauen im Durchschnitt länger leben.
HRV-Messungen kommen häufig auch im Fitness-Coaching zum Einsatz, ebenso aber im Leistungssport als Trainingsüberwachung. Immer mehr finden Firmenleitungen daran Gefallen, den Gesundheitsstatus ihres Unternehmens auf diese Art und Weise zu bewerten. Im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements können HRV-Messungen von Mitarbeitern genutzt werden, um Mängel aufzuzeigen und gesundheitsfördernde Initiativen zu starten. Das Einverständnis von Mitarbeitern und Betriebsrat sei hier Voraussetzung, die Daten würden anonym bleiben, die Auswertungen seien nur jedem Einzelnen zugänglich, versichert der Experte. Hier gilt es, zum Schutz der Mitarbeiter, ganz strikt für Datensicherheit zu sorgen.
"Jeder ist anders." Deshalb geht es Lohninger auch um personalisierte Gesundheit, bei der jeder Einzelne mitbestimmen soll. Das laienverständliche HRV-Bild führt den Patienten die Gesundheitsfakten deutlich vor Augen und ermöglicht individuelle Maßnahmen. Vermutlich wird es nicht mehr lange bis zum vermehrten Einsatz im privaten Bereich dauern. Schon jetzt zählen Fitnessarmbänder unsere Schritte und messen unseren Puls. Die Herzratenvariabilität ist dann nur ein kleiner Entwicklungsschritt weiter.