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Dauerhaft lieben und länger sterben

Von Walter Hämmerle

Politik

Wie werden wir in Zukunft lieben, sterben und arbeiten? Die Antworten aus Sicht des Werteforschers, Psychotherapeuten und Theologen Erich Lehner: Wir werden dauerhaft lieben, uns aber trotzdem nicht auf ewig binden, und wir werden länger leidend sterben. Den Schlüssel dafür, dass wir damit auch umgehen können, sieht Lehner in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit - und den damit verbundenen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Konsequenzen.


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"Wir werden auf jeden Fall dauerhaft und in festen Beziehungen lieben", zeigte sich Lehner bei einer Diskussion des MindMappingTables am Donnerstagabend im Management Club anlässlich des Jubiläumsjahres überzeugt. Seine Zuversicht schöpft er aus Studien, die allesamt zeigen, dass eine dauerhafte Beziehung zu den Grundsehnsüchten des Menschen gehört. Aber, so seine Einschränkung: "Dauerhaft heißt nicht auf ewig." Die Ehe wird an diesem Grundbedürfnis wohl nicht genesen.

Auch der Wunsch nach Kindern ist bei den heute Jungen groß: Nahezu jeder wünscht sie sich - nur nicht sofort. Denn Kinder kosten Geld, das man in jungen Jahren noch nicht hat - und überhaupt möchte man zuerst "etwas erleben". "Die Jugendliche von heute wissen genau, dass Familie mit Beruf und Karriere nicht vereinbar ist", erläutert Lehner. Und dennoch werde die Familie als Wert nicht in Frage gestellt.

"Sterben werden wir in Zukunft auf jeden Fall später und länger", bringt Lehner die Folgen der steigenden Lebenserwartung auf den Punkt. Denn wer länger lebt, hat auch größere Chancen länger zu leiden. "Schon heute sterben wir durchschnittlich ein halbes Jahr, früher dauerte es eine Woche."

Diese Entwicklung hat natürlich auch Folgen für das Abschiednehmen von Sterbenden und deren Betreuung. Wenn der Prozess des Sterbens sich über Monate hin zieht, ist Abschiednehmen in herkömmlicher Form nicht mehr möglich. 80 Prozent der Pflegegeldbezieher werden schon heute zu Hause, von der Familie betreut - "und das heißt in Wirklichkeit von den Frauen". Aber wer pflegt wen und wo, wenn die Gesetzmäßigkeiten des Arbeitsmarkts immer mehr an Selbstständigkeit, Flexibilität und Mobilität von den Menschen verlangen?

Dazu kommt, dass es gerade bei der Pflege nicht in erster Linie eine Frage der "Handgriffe" ist, sondern um die psychische Bereitschaft geht, einen sterbenden Menschen auszuhalten.

Wie groß ist angesichts dieser Aussichten die Gefahr, dass Euthanasie wieder in Mode kommt? Lehner hält diese Diskussion für eine Scheinfrage, denn: "Den natürlichen Tod gibt es nicht mehr, schon heute ist beim Sterben immer eine medizinische Frage dabei." Doch für diese neue Situation gibt es keine Verfahrensregeln - und hier liege die eigentliche ethische Frage.

Für Lehner ist klar, dass die Familie - wie individuell gestaltet diese auch immer in Zukunft aussehen mag - für die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen entscheidend sein wird. Nur: "Die Familie mit 1,3 Kindern braucht Erweiterung und Unterstützung durch Strukturen." Und hier kommt für Lehner die Gesellschaftspolitik ins Spiel. Den entscheidenden Schlüssel sieht er in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit - von der Kindererziehung über die Karriere bis hin zur Altenpflege.