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Politikberater Thomas Hofer ortet "Klientelpolitik" von SPÖ und ÖVP. | Meinungsforscher Peter Hajek: "Bahn sollte auf Angriffe nicht reagieren." | Lopatka fordert ÖBB-Personalabbau. | Wien. Die heimische Bahn scheint ein Dauer-Abo auf negative Berichterstattung gebucht zu haben. Jetzt wird die Bundesbahn überdies zu einer Projektionsfläche für einen innenpolitischen Profilierungskampf. | 8. Juni als Lostag für Brenner-Tunnel
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Zum einen sorgen die drohenden Sparmaßnahmen bei großen Infrastrukturprojekten wie Brennerbasistunnel und Koralmbahn für Wirbel. Zum anderen hängt die Debatte über Privilegien der ÖBB-Mitarbeiter, die überwiegend an das Beamtendienstrecht angelehnte Verträge haben, wie ein Damoklesschwert über dem Unternehmen.
Der Koalitionskrach erreichte in dieser Woche eine neue Qualität: Die ÖVP zog zwei ihr nahe stehende Aufsichtsräte zurück, nämlich Franz Rauch (Vorarlberger Fruchtsafthersteller) und Christian Teufl (Manager bei der Raiffeisen-Firma Leipnik-Lundenburger Invest). ÖVP-Verkehrssprecher Ferdinand Maier begründete dies damit, dass die "politische Verantwortung aufgezeigt werden" solle. Beobachter werten diesen Schritt als Indiz, dass die ÖVP ihre Attacken auf die Bahn noch verstärkt - kurz vor dem Amtsantritt des neuen ÖBB-Chefs Christian Kern am 7. Juni.
Seit Monaten schon fordert Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka (ÖVP), dass die Bahn beim Personal tiefe Einschnitte vornimmt. Insgesamt kommt der Staatssekretär auf eine stolze Summe von mehr als 400 Millionen Euro, die bei den ÖBB zu holen wäre.
Der größte Brocken dabei ist der Personalabbau: Wenn man bis 2015 rund 3000 Stellen streiche, wäre eine Einsparung von rund 150 Millionen Euro allein in diesem Bereich möglich. Die Bahn und das Infrastrukturministerium haben die Aussendungen und Interviews Lopatkas meist dementiert. Auch Eisenbahnergewerkschafter Wilhelm Haberzettl weist die Forderungen strikt zurück.
Ehemalige freiheitliche Wähler als Zielgruppe
Lopatka sei in Hinblick auf die ÖBB "der politische Kettenhund" seiner Partei geworden, erklärt Meinungsforscher Peter Hajek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es sei interessant, mit welcher Vehemenz die ÖVP sich der Sache annehme. Es habe aus Sicht der Bahn keinen Sinn, auf die Angriffe zu reagieren. Denn man komme automatisch dazu, sich rechtfertigen zu müssen. Beim Publikum bleibe dann der Eindruck bestehen, dass ein Teil der Vorwürfe stimme.
Hajek geht davon aus, dass vor allem Wähler, die "zwischen Freiheitlichen und ÖVP" pendeln, sich von dem ÖBB-Thema angesprochen fühlen. Das Thema sei emotional und komme bei "gewinnbaren Wählern" gut an. Der Druck auf den Koalitionspartner nehme zu, die SPÖ befinde sich bei der Bahn in einem Dilemma: Einerseits würde es auch sozialdemokratische Wähler aufregen, wenn Bahn-Mitarbeiter mit 52 Jahren in Pension gehen. Andererseits wolle die SPÖ nicht als "Sozialabbau-Partei" dastehen.
Auch für Meinungsforscher Günter Ogris ist die Zielgruppe der Kampagne das freiheitliche Lager. Er rechne damit, dass vor allem Arbeitnehmer in Kleinbetrieben ohne Aufstiegschancen mobilisiert werden können. Seinen Studien zufolge gelten Bahnmitarbeiter und Beamte in Österreich nicht als privilegiert - dieses Image haben eher Bankangestellte. Seine These lautet, dass Lopatka mit seinen Angriffen auf die Staatsbahn von Finanz- und Bankthemen ablenkt. Die ÖVP-Kampagne zielt laut Ogris primär auf kleinere Städte im ländlichen Raum. In Verkehrknotenpunkten wie etwa Villach sei die Konkurrenz zwischen den beiden Koalitionsparteien am größten. Die "Eisenbahnerstädte" dienten der SPÖ als Machtbasis.
Lopatka präsentiert sich als "Reformtreiber"
Politikberater Thomas Hofer sieht in Lopatkas Agieren ebenfalls eine klare Strategie: Der Finanzstaatssekretär könne sich als "Reformtreiber" darstellen. Dass die ÖVP keine Aufsichtsräte mehr für die ÖBB-Holding nominiert, ergebe mittelfristig - für die Nationalratswahlen 2013 - Sinn. Offenbar wolle man schon jetzt bewusst Themen aufbauen, die in der echten Wahlkampagne "abgerufen" werden. "Man muss dann nur noch das Signalwort ÖBB fallen lassen." Die Wähler wüssten, was gemeint sei.
Beide Parteien würden "Klientelpolitik" betreiben. Genauso wie die ÖVP nicht zulassen wolle, dass etwa die Landwirtschaft oder die Wirtschaftstreibenden bei der Sanierung der leeren Staatskassen überproportional zum Handkuss kommen, wolle die SPÖ die Bahn schützen. Nach dem Motto: "Es dürfen nicht die kleinen Eisenbahner sein, die für die Krise zahlen", fasst Hofer zusammen.