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ÖVP-Seniorenchefin Ingrid Korosec tritt für einen Ausbau des Bonus-Malus-Systems ein, um Menschen länger im Erwerbsleben zu halten. Wifo-Expertin Christine Mayrhuber will dagegen die Betriebe verstärkt ins Boot holen.
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Alarmierend findet sie die Zahl: Nur 40 Prozent wechseln tatsächlich vom Erwerbsleben in den Ruhestand. 60 Prozent der neuen Pensionisten arbeiten hingegen nicht bis zum Antritt des Ruhestandes, sondern müssen zuvor etwa mit einer Sozialleistung den Übergang schaffen - vielfach wird zuvor Arbeitslosengeld bezogen.
Sie ist die Präsidentin des ÖVP-Seniorenbundes, Ingrid Korosec. Sie nimmt diese Daten aus einer Studie aus dem Jahr 2019 zum Anlass, um einmal mehr ein Plädoyer für längeres Arbeiten der älteren Generation zu halten. "Alle, die arbeiten wollen, müssen auch arbeiten können", predigt sie zum Jahreswechsel - ganz unabhängig davon, dass die abschlagsfreie Hacklerregelung mit Ende 2021 ein neuerliches Ende findet. Denn ab 2022 erhalten alle, die bereits vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr gearbeitet haben, einen Frühstarterbonus für diese Zeiten.
Vorzeitiger Pensionsantritt ist die Regel
Trotz aller Bekenntnisse der Bundesregierungen der vergangenen Jahre, dass die Menschen später in Pension gehen sollten, hat sich am tatsächlichen Pensionsantrittsalter wenig geändert. Lässt man statistische Änderungen weg, erfolgt der Pensionsantritt in der gesetzlichen Pensionsversicherung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Selbständigen und Gewerbetreibenden im Durchschnitt mit 60 bis 61 Jahren, bei Beamtinnen und Beamten ist der Durchschnitt auf rund 61,5 Jahre gestiegen.
Dabei würde eine Anhebung des faktischen, durchschnittlichen Pensionsantrittsalters um ein Jahr zwischen einer und 1,4 Milliarden Euro an Pensionskosten pro Jahr sparen. Das war der Grund, warum Regierungen einem Anheben des gesetzlichen Pensionsalters von 65 Jahren beständig eine Absage erteilten.
Auch Korosec will zunächst beim tatsächlichen Pensionsantrittsalter ansetzen. Die ÖVP-Seniorenchefin überlegt, die finanziellen Anreize des Bonus-Malus-Systems zu verstärken. Derzeit werden bei einem Pensionsantritt vor dem gesetzlichen Pensionsalter 5,1 Prozent pro Jahr von der Pension abgezogen. Arbeitet jemand länger, kommt ein Bonus von 4,2 Prozent pro Jahr dazu. "Ich würde beides etwas anheben", sagt Korosec.
Im Klartext würde das bedeuten: Wer früher als im Alter von 65 Jahren in Pension geht, müsste dauerhaft eine noch niedrigere Leistung als heute schon in Kauf nehmen. Wer später geht, wird mit einer höheren Pension belohnt. Zur Diskussion stellt sie jeweils sechs Prozent, die längeres Arbeiten attraktiver machen sollen.
Die Pensionsexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Christine Mayrhuber, stellt zwar ebenfalls fest, dass das Bonus-Malus-System heute nicht greift: "Bei den Männern arbeiten nur 20 Prozent im regulären Pensionsalter von 65 Jahren noch." Der Abschlag bei der Korridorpension sei allerdings im internationalen Vergleich sehr hoch, auch weil sich die Abschläge summieren: "Trotzdem nehmen es viele in Kauf, dass sie zum Beispiel für den um zwei Jahre früheren Pensionsantritt das restliche Leben lang um 10,2 Prozent weniger Pension erhalten", rechnet Mayrhuber vor. Und ein höherer Bonus könne nicht mehr pensionsantrittsverzögernd wirken: "Sie sind in diesem Alter ja schon in Pension." 2020 lag das Antrittsalter bei Männern bei 61,6 Jahren.
Beschäftigungslücke bei Frauen vor der Pension
Und bei Frauen? Hier ist die Lücke zwischen tatsächlichem Pensionsantrittsalter und regulärem Pensionsalter von 60 Jahren kleiner. Sie gingen 2020 mit durchschnittlich 59,5 Jahren in Pension. Mayrhuber weist allerdings auf die andere problematische Lücke hin: "Nur die Hälfte der Frauen geht aus einer regulären, vollversicherungspflichtigen Beschäftigung in Pension."
Eine im Sommer präsentierte, gemeinsame Wifo-Forba-Studie speziell zum weiblichen Erwerbsaustritt und Pensionsantritt von Frauen im Auftrag der Arbeiterkammer Wien zeigt, dass 2019 nur 52,5 Prozent der Frauen keine Lücke zwischen ihrer letzten Beschäftigung und ihrem Pensionsantritt hatten. Bei acht Prozent dauerte die Lücke bis zu einem Jahr, bei weiteren zehn Prozent zwischen einem und vier Jahren. Ob Frauen in dieser Zeit arbeitslos waren, Angehörige pflegten oder keiner Beschäftigung nachgingen, erhebt Mayrhuber im Moment mit einer zweiten Studie. "Eine große Gruppe dürfte sich in Warteposition befinden, die mit 15 Versicherungsjahren eine Eigenpension erworben haben, die weitere Arbeitsjahre nicht mehr erhöhen würden."
Mit Beratung Menschen länger im Betrieb halten
Ab 2024 wird das gesetzliche Pensionsantrittsalter von Frauen an jenes der Männer mit 65 Jahren herangeführt. Die Lücke könnte sich also auch bei ihnen nochmals vergrößern. Trotzdem hat die Wifo-Expertin eine andere Lösung als ein ausgeweitetes Bonus-Malus-System, um Männer wie Frauen länger in Beschäftigung zu halten. Mayrhuber würde bei den Unternehmen ansetzen: "Es muss ja auch der Betrieb, der Arbeitgeber, mitmachen. Wenn die Arbeitsbedingungen so sind, dass Beschäftigte tatsächlich gerne ein Jahr dranhängen, gehen sie später in Pension."
Viele größere Unternehmen bemühen sich angesichts der Alterung und einem Mangel an Fachkräften bereits darum, ihre älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb zu halten. Bei Klein- und Mittelbetrieben ist das oft noch nicht so. Eine Möglichkeit wäre eine Demografieberatung von ÖSB Consulting und die Beratungen zum altersgerechten Arbeiten bei Fit-to-Work, sagt Mayrhuber. "Kleinere Unternehmen erhalten dort, was in großen die Human-Ressources-Abteilung macht: ein gemeinsames Überlegen von Maßnahmen, um ein möglichst attraktiver Arbeitgeber zu sein und damit die Kompetenzen älterer Beschäftigter möglichst lange nicht zu verlieren". Denn eines ist jedenfalls gewiss: "Nichts tun kostet jedenfalls Geld." Die mit der Alterung zunehmend schwierigere Personalsuche bindet Ressourcen, auch für die Einschulung später.
Ein Viertel sind keine Pensionskosten
Korosec sieht allerdings auch weiterhin die Politik gefordert. Sie führe deshalb weitere Gespräche mit dem von der ÖVP gestellten Arbeitsminister Martin Kocher. Erste Maßnahmen wurden ja bereits gesetzt. Mit der Aktion Sprungbrett sollen 50.000 Langzeitarbeitslose - meist ältere Personen - wieder eine Beschäftigung erhalten, ähnlich wie bei der von der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung einst gestoppten Aktion 50.000. Außerdem werden bis Ende 2022 mit in Summe 700 Millionen Euro zusätzliche Ausbildungen und Umschulungen - etwa für Pflegekräfte - finanziell unterstützt.
Der ÖVP-Seniorenchefin ist außerdem ein Dorn im Auge, dass bei den Debatten über Pensionskosten und Budgetzuschüsse auch Milliarden-Aufwendungen für Bereiche einbezogen werden, die nicht als solche zu bezeichnen sind. So handle es sich bei den jährlich 1,1 Milliarden Euro für die Ausgleichszulage für jene mit sehr niedrigen Pensionen um eine "Sozialleistung zur Armutsbekämpfung". Gut eine weitere Milliarde Euro machen die Aufwendungen für Teilversicherungszeiten aus, darunter die Beiträge für die Kindererziehung und die Pensionsbeiträge für Präsenz- und Zivildienst sowie für Kranken- und Wochengeld.
Rechnet man all diese Extraaufwendungen aus den 21,4 Milliarden Euro heraus, kommt die ÖVP-Seniorenvertreterin auf 16,2 Milliarden, die die Pensionen tatsächlich kosten - also um 24 Prozent beziehungsweise rund ein Viertel weniger. Sie warnt davor, die Generationen mit höheren Angaben auseinanderzudividieren, und sieht auch keine Notwendigkeit für Einschnitte. Voraussetzung für die Finanzierbarkeit des Pensionssystems sei vielmehr ein stabiler Arbeitsmarkt, eine hohe Erwerbsbeteiligung und "vernünftige Löhne".
Emotionen rund um Ende der Frühpension ohne Abschläge
Die meisten Emotionen löst derzeit allerdings ohnehin ein anderer Punkt in der Pensionsdebatte aus. Mit 31. Dezember dieses Jahres läuft die sogenannte Hacklerregelung - die abschlagsfreie Frühpension nach 45 Arbeitsjahren ab 62 - nur zwei Jahre nach der Wiedereinführung Anfang 2020 bereits wieder aus.
Vor allem die SPÖ und die Gewerkschaften, allen voran ihr Vorsitzender Rainer Wimmer, werden nicht müde, das als "Pensionsraub" zu brandmarken. ÖVP und Grüne argumentierten gegen die Hacklerregelung, dass davon fast ausschließlich Männer profitieren, weil Frauen bis 2024 noch regulär mit 60 Jahren in Pension gehen können, und haben stattdessen den sogenannten Frühstarterbonus ab 2022 als Ersatz eingeführt.
Voraussetzung dafür ist, dass man im Berufsleben zumindest 25 Jahre lang Beiträge für die Pensionsversicherung geleistet hat - zwölf Beitragsmonate davon zwischen dem fünfzehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Da der Bonus einen Euro pro Beitragsmonat ausmacht, kann es damit maximal 60 Euro Bonus für die Pension geben. Profitieren werden davon in erster Linie Lehrlinge, weil Schülerinnen und Schüler, die in den Ferien arbeiten gehen, im Regelfall nicht auf zwölf Beitragsmonate kommen.
Dass vom neuen Bonus vermehrt Frauen profieren sollen, kann Wimmer allerdings keineswegs besänftigen. Durch das Ende der Hacklerregelung würden Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, künftig wieder wie schon von 2014 bis Ende 2019 "mit Abschlägen bestraft".