Es ist lange her, dass Alexander Lukaschenko als einziger Abgeordneter des weißrussischen Parlaments gegen die Auflösung der Sowjetunion stimmte: Klickt man sich durch eine Dokumentation weißrussischer Außenpolitik, die das offizielle Weißrussland vertreibt, finden sich darauf zwar Bilder und Videos des Präsidenten mit dem Venezolaner Hugo Chavez, Irans Mahmoud Ahmadinejad, chinesischen Politikern und dem Papst - Russlands Präsident Dmitri Medwedew kommt allerdings erst am Ende der Leistungsschau eher zufällig und im Hintergrund ins Bild.
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Der Rosenkrieg zwischen den an sich engen Partnern erreichte in den letzten Wochen Bassena-Niveau: So ließ Lukaschenko jüngst einen offenen Brief an 80 russische Unternehmer per E-Mail schicken, in dem er angesichts des jüngsten Gaskonflikts über die "unfreundliche Politik" Moskaus klagte und sich über die "Aggression" gegen ihn in russischen Medien beschwerte. Medwedew riet seinem Amtskollegen daraufhin, "keine Spams zu verbreiten". Lukaschenko replizierte in Anspielung auf Medwedews Internet-Blog, sein Kollege solle "lieber den Staat verwalten", statt zu bloggen.
"Nichts geht mehr", schrieb das russische Wochenmagazin "Russki Reporter" Anfang Juli über das bilaterale Verhältnis: Da war Weißrussland zwar im allerletzten Moment der zwischen Russland und Kasachstan vereinbarten Zollunion beigetreten, der Streit um Exportzölle, die Russland für Ölprodukte einhebt und die Minsk nicht zahlen will, ging aber dennoch weiter wie gewohnt. Drei Handelskriege haben Moskau und Minsk allein im vergangenen Jahr ausgefochten: um Öl, den Gaspreis und sogar um die Lieferung von Milch. Auf dem Höhepunkt des Gaskonflikts beschwerte sich Lukaschenko in einem Interview - bezeichnenderweise auf "Euronews" - über die "imperiale Haltung" Russlands und unterstellte dem Kreml, Weißrussland "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" in seinem Einflussbereich haben zu wollen.
Die Reaktion aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten: In russischen Fernsehsendern liefen Anfang Juli kritische Berichte über Lukaschenko - so auf NTV ein Dokumentarfilm, der das Verschwinden von möglichen Konkurrenten im Jahr 1999 zum Thema hatte. In der Dokumentation kommen die inzwischen toten Regimekritiker sowie deren Angehörige zu Wort. Bis in die weißrussischen TV-Sehern drang der NTV-Bericht nicht vor: Auf weißrussischem Territorium wurde er schleunigst durch einen Spielfilm ersetzt.
Via Internet verbreitete sich der Bericht dennoch rasch. Minsk reagierte verschnupft auf die bisher beispiellose russische Kritik: "Nicht akzeptabel und kriminell" sei es, "lästerliche Anschuldigungen gegen den Staatschef aufzustellen", sagte ein Botschaftssprecher. Und Anatoli Rubinow, Chef des Oberhauses des weißrussischen Parlaments, dachte gar darüber nach, die in Weißrussland beliebten russischen Sender verbieten zu lassen.
Dass es so weit kommt, glaubt zwar kaum jemand, das gespannte Klima könnte aber bei den anstehenden weißrussischen Präsidentenwahlen eine Rolle spielen. Sie sollen spätestens im Frühjahr 2011 stattfinden, und die Duldung durch Russland, die Lukaschenko bisher genossen hatte, ist nicht mehr so sicher: Seit der Autokrat sich einer "Multivektoren-Außenpolitik" zuwendet und Moskau nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch ärgert - etwa mit der Nichtanerkennung Südossetiens und Abchasiens - haben sich im ohnedies unterkühlten Verhältnis weitere Bruchstellen bemerkbar gemacht. Kritische Berichte russischer TV-Sender sind für Lukaschenko bei seiner Wahlkampagne wenig hilfreich.
Allerdings gilt der Ex-Direktor einer Sowchose nicht umsonst als trickreich. So könnte er die Wahl noch in diesem Herbst ansetzen lassen, um Gegenkandidaten keine Chance zur Profilierung zu geben. An denen mangelt es ohnedies: Die nur in den Städten nennenswerte Opposition gilt als nicht repräsentativ für die Bevölkerungsmehrheit und in ihrer prowestlichen Haltung als Risiko für Russland, das mit Weißrussland auf sicherheitspolitischem Gebiet eng zusammenarbeitet. Sollte Moskau einen Kandidaten aus der Nomenklatur für die weißrussische Präsidentschaft gefunden haben, hält er sich noch gut versteckt.