Zum Hauptinhalt springen

De Vries wird Terror-Koordinator

Von Martyna Czarnowska, Brüssel

Europaarchiv

Die Delegationen aus den 25 Ländern empfing zunächst schüchterner Sonnenschein - im sonst verregneten Brüssel eine Seltenheit. Die Wirtschaftsfragen, denen das Frühjahrstreffen traditionell gewidmet ist, wurden dann von einem düsteren Thema verdrängt: Dem Kampf gegen den Terror. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bereits am Donnerstag den niederländischen Ex-Innenstaatssekretär Gijs de Vries zum neuen EU-Koordinator für Terrorbekämpfung ernannt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana und EU-Ratspräsident Bertie Ahern betonten, Gijs de Vries sei wegen seiner Erfahrung als früherer Innenstaatssekretär geeignet für den Posten des EU-Koordinators zur Terrorismusbekämpfung. De Vries soll laut Solana seinen Job "Montag um 8.00" antreten. Der Koordinator ist dem EU-Außenbeauftragten direkt unterstellt.

Ahern betonte, im Kampf gegen den Terrorismus müssten die Grundrechte gewahrt bleiben. Die Kritik von Bürgerrechtsorganisationen wie Statewatch, laut der der neue EU-Aktionsplan gegen den Terrorismus über das Ziel hinausschieße, sei aber "von keiner der 25 Staats- und Regierungschefs geteilt worden", sagte der irische Ministerpräsident.

Verfassungs-Fortschritte

Weiteres Thema war die EU-Verfassung. Mit einer Einigung konnte zwar nicht gerechnet werden. Doch die Atmosphäre rund um die Diskussion hat sich gewandelt. Denn spätestens die Terroranschläge von Madrid haben deutlich gemacht, dass die jetzigen und künftigen EU-Staaten nicht nur in der Terrorbekämpfung ihre Zusammenarbeit verstärken müssen. Will die EU ihre Funktionsfähigkeit verbessern, muss sie sich auch auf eine Verfassung einigen.

Der bevorstehende Regierungswechsel in Madrid und die Ankündigung des Wahlsiegers José Luís Zapatero, "proeuropäischer" agieren zu wollen, haben auch Polen zu einer Haltungsänderung bewogen. Premier Leszek Miller hat schon im Vorfeld des Gipfels Kompromissbereitschaft angedeutet. Sowohl Spanien als auch Polen könnten von ihrer Forderung nach Erfüllung des Nizza-Vertrages abgehen, wenn ihre Position im System der "doppelten Mehrheit" gestärkt würde. Nun gebe es "starke Anzeichen" dafür, dass die EU-Staaten die Verhandlungen "so bald wie möglich" abschließen wollen, erklärte Ahern. Die Wiederaufnahme der Regierungskonferenz ist jederzeit möglich, die Gespräche waren nicht ab-, sondern unterbrochen. Symbolcharakter erhält in diesem Zusammenhang das in Brüssel beschlossene Vorziehen der Solidaritätsklausel aus der Verfassung. Damit verpflichten sich die EU-Staaten schon jetzt zum gegenseitigen Beistand bei Terroranschlägen. Das ist einer der Punkte in dem Aktionsplan, den der irischeVorsitz vorgelegt hat.

Kritik an Israel

Wie von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi erwartet, gaben die Staats- und Regierungschefs eine "starke Erklärung" zur Bekämpfung des Terrorismus ab. Die Tötung des Hamas-Gründers Scheich Ahmed Yassin durch Israel wurde in Büssel einhellig verurteilt: Israel habe damit das Völkerrecht gebrochen. "Der derzeitige Kreis von Gewalt und Vergeltung hat viele Menschenleben gekostet und großes Leid verursacht", hieß es. Die EU appelliert an Israelis und Palästinenser, den internationalen Friedensplan, die so genannte "Road Map", zu unterstützen.

Skeptisch zeigte sich EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zur Umsetzung der Lissabon-Strategie. Anscheinend nehmen die Mitgliedstaaten die gesteckten Ziele nicht ernst genug, sagte Prodi: "Es ist mir fast peinlich, das jedes Mal zu wiederholen."

"Seit vier Jahren spricht man darüber", erläuterte Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser vor dem Gipfel. Doch umgesetzt wurde zu wenig. Nun sei ein "massives Commitment notwendig". So wünscht sich Grasser verbindliche Zeitpläne für jedes Land und setzt auf "reformorientierte" Wirtschafts- und Finanzpolitik. "Europa muss sagen: Die Fortschritte sind dann ausreichend, wenn wir in Relation zu den USA und Asien stärker wachsen", fasst der Finanzminister zusammen. Von Sanktionen bei Nichterfüllung der Ziele hält er jedoch wenig. Denn wo diese vereinbart wurden - wie beim Stabilitätspakt -, funktionieren sie nicht. Die größte Sanktion seien die Wählerinnen und Wähler - und ein Zurückfallen im Wettbewerb.

So werde die US-Wirtschaft nach Angaben der Wirtschaftskammer Österreich heuer mit 4 Prozent doppelt so schnell wachsen wie in der EU, die Arbeitslosigkeit mit 6 Prozent gegenüber 8 Prozent niedriger ausfallen. Der EU-Gipfel in Brüssel will die Lissabon-Ziele dennoch bestätigen.