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"Deal ist Deal"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle verteidigt Verhandlungen mit der Türkei.


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"Wiener Zeitung":Visafreiheit für türkische Staatsbürger ist Teil des Abkommens der EU mit Ankara. Macht Europa in der Flüchtlingskrise allzu große Zugeständnisse?

Stefan Füle: Der Prozess der Visaliberalisierung hat begonnen, bevor noch jemand daran dachte, dass wir später in eine Situation wie jetzt kommen. Die Bedingungen für die Reisefreiheit waren klar. Das Flüchtlingsabkommen, das wir heuer geschlossen haben, hat die Angelegenheit lediglich wieder in den Fokus gerückt. Wir haben unsere Zusagen erneuert, aber gleichzeitig nochmals die Voraussetzungen dafür betont. Auf diese hat die Flüchtlingskrise keinen Einfluss. Ich sehe nicht, dass diese Regeln geändert werden.

Die Türkei wird aber kaum, wie verlangt, ihre Anti-Terror-Gesetze ändern. Wird die EU ebenfalls hart bleiben?

Deal ist Deal, und Bedingungen sind Bedingungen. Die Türken kennen sie von Anfang an.

Verlassen wir uns beim Umgang mit der Migration zu sehr auf sie?

Die Westbalkan-Route ist so gut wie geschlossen, und das hat auch mit dem Türkei-Abkommen zu tun. Dieses ist nicht die Lösung sondern nur Teil davon. Aber zweifellos brauchen wir einander. Die Beitrittsgespräche mit Ankara sind kompliziert, wegen der Türkei und wegen uns. Die Türken wählen jene Reformen, die zu ihrer politischen Agenda passen und nicht immer jene, die wir gerne hätten. Und wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil wir Verhandlungen um einen EU-Beitritt begonnen und dann einige Länder lieber von einer anderen Partnerschaft gesprochen haben. Es ist ein schwieriges Verhältnis. Doch wir sind beide interessiert an dieser Beziehung.

Die EU hat nicht zuletzt Interesse daran, Schutzsuchende wieder zurückzuschicken.

Wir bitten die Türkei nicht, uns einen Gefallen zu tun, sondern erinnern sie an internationale Verpflichtungen. Das Abkommen war eine Aufforderung, die Menschen nicht ertrinken zu lassen. Dafür wollen wir bei der Betreuung der Flüchtlinge helfen und etliche Schutzsuchende umsiedeln.

Es hat auch schon andere Umsiedlungspläne gegeben - gegen die sich unter anderem einige osteuropäische EU-Mitglieder gewehrt haben. Verstehen Sie den Vorwurf mangelnder Solidarität?

Die unglückliche Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa ist jenseits aller Proportionen betont worden. Es war vor allem ein Missverständnis, das dazu geführt hat: das von einer verpflichtenden Flüchtlingsquote. Ich lege die Betonung auf das Wort "verpflichtend". Tschechien hat bereits freiwillig zugesagt, hunderte Asylwerber aus Griechenland und Italien aufzunehmen. Aber Verpflichtungen? Etliche hat uns Moskau auferlegt, als wir noch in seinem Einflussbereich waren...

Das sind ja Debatten wie vor 15 Jahren, vor dem EU-Beitritt!

Es ist aber so. Die älteren Mitglieder haben eine andere Vergangenheit, einige von ihnen auch eine koloniale. Hinzu kommt, dass einige von ihnen, um die Bedürfnisse ihrer Arbeitsmärkte zu decken, Türken oder Marokkaner ins Land geholt haben. Wir haben diese Erfahrungen nicht gemacht; wir waren lange isoliert. Bei uns haben Generationen hinter einem Zaun gelebt, und es braucht mehr als 15 Jahre um eine andere Mentalität zu entwickeln. Wir sind noch nicht so kosmopolitisch.

Wird es jemals eine Quote zur Verteilung von Asylwerbern geben?

Es geht nicht um die Quote, sondern das Verpflichtende daran. Es wurde uns aufgezwungen; wir wurden überstimmt. Außerdem kam es zu einer Zeit, als wir noch keine Vereinbarung mit der Türkei, keine Hotspots zur Registrierung der Flüchtlinge, keine Einigung auf einen verstärkten Grenzschutz hatten. Wir haben also gefragt, warum nur ein einziges Puzzlestück ausgewählt wurde: die Verteilungsquote. Warum nicht alle anderen Elemente ebenso vehement einfordern? Wenn wir uns auf ein umfassendes Konzept geeinigt haben, dann werden wir einen Weg finden, Solidarität zu zeigen.

Zur Person
Stefan Füle
Der tschechische Diplomat war bis 2014 EU-Erweiterungskommissar. Er war Gastredner beim Prager Europa-Gipfel.