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Deal mit Türkei fixiert

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Das Flüchtlingsabkommen der EU mit Ankara soll bereits am Sonntag in Kraft treten.


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Brüssel. Es soll jetzt schnell gehen. Keine Monate, keine Wochen mehr sollen verstreichen, bevor die Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise umgesetzt werden. Zumindest bei der Kooperation der EU mit der Türkei zum besseren Grenzschutz und zur Eindämmung der Flüchtlingsströme war der Druck immens, Ergebnisse zu liefern. Daher soll es schon am Sonntag losgehen. Darauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel, zu dem auch der türkische Premier Ahmet Davutoglu angereist war.

Am Sonntag also soll jener Teil der Vereinbarung in Kraft treten, gegen den bis zuletzt rechtliche Bedenken laut geworden sind: Die EU will künftig alle illegal nach Griechenland eingereisten Migranten in die Türkei zurückschicken und dafür die Kosten übernehmen. Für jeden abgewiesenen Syrer aber übernimmt sie einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei.

Dieser "Eins zu eins"-Mechanismus, der ab Anfang April greifen kann, soll nicht zuletzt ein Signal an die Menschen aussenden, sich nicht Schleppern auszuliefern, weil die Schutzsuchenden nach der Überfahrt sowieso abgeschoben werden. Stattdessen sollen die syrischen Asylwerber den legalen Weg über die Umsiedlung aus der Türkei nehmen.

Die Überfahrten über das Mittelmeer zu stoppen ist so das Ziel der EU. Denn eine "legale Einreise ist mit mehr Ordnung verbunden, letztlich auch menschlicher", befand der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann.

Da aber schon die früheren EU-Pläne zur Umverteilung von Flüchtlingen auf Widerstand einiger Mitgliedstaaten gestoßen sind, soll die Übernahme aus der Türkei auf freiwilliger Basis erfolgen. Daher ist abzusehen, dass nur einige Länder sich daran beteiligen - unter anderem Deutschland, dem das Abkommen mit Ankara ein besonderes Anliegen war. Insgesamt sind fürs erste 72.000 Aufnahmeplätze vorgesehen. Davon sind 18.000 Teil eines EU-Beschlusses, 22.000 Flüchtlinge direkt aus Syrien-Anrainerstaaten wie Libanon, Jordanien oder eben der Türkei zu übernehmen. Außerdem gibt es noch ein zweites Kontingent: 54.000 Plätze zur Entlastung Ungarns. Da aber Budapest die EU-Vereinbarung zur Umsiedlung von 120.000 Menschen nicht mitgetragen hat, blieb dieser Anteil ungenützt.

Doch auch wenn die illegale Migration eingedämmt werden kann, soll die Türkei, die selbst rund zweieinhalb Millionen Syrer beherbergt, danach weitere Unterstützung erhalten. Dann könnte ein weiteres Übernahmeprogramm für Asylwerber starten, für das allerdings noch keine Zahlen genannt werden. Die Spekulationen reichten von zehn- bis hundertausenden Flüchtlingen, die in die EU geholt werden könnten.

Visafreiheit für türkische Staatsbürger

Für die Schutzsuchenden in der Türkei soll es weitere Finanzhilfe geben, zusätzlich zu den bereits zugesagten drei Milliarden Euro. Wenn das aufgebraucht ist, soll die gleiche Summe in Projekte fließen, die die Lebensumstände der Geflohenen verbessern.

Darüber hinaus ist die Gemeinschaft auch zu anderen Zugeständnissen an die EU-Beitrittskandidatin bereit. Ein Wunsch der Regierung in Ankara, der oberste Priorität hat, könnte so bereits im Sommer in Erfüllung gehen: Visafreiheit für türkische Staatsbürger.

Seit Jahren drängt die Türkei darauf, die Visumpflicht für Reisen in die EU abzuschaffen, doch hat sie erst die Hälfte der technischen und gesetzlichen Bedingungen dafür erfüllt. Den Rest müsste sie innerhalb weniger Wochen schaffen, soll das angestrebte Datum halten - immerhin soll das spätestens Ende Juni sein. Eine "Freifahrt" solle es allerdings nicht geben, beeilte sich die EU-Kommission zu versichern. Die Behörde muss die Aufhebung der Reisebeschränkungen zunächst einmal empfehlen, danach müssen die Mitgliedstaaten sowie eine Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament dem zustimmen.

Neuer Schwung für EU-Beitrittsverhandlungen

Bis zum Sommer soll außerdem erneut Bewegung in die immer wieder stockenden Beitrittsverhandlungen kommen. Das Gesprächskapitel zum Themenbereich Finanzen und Haushalt soll noch unter niederländischem EU-Vorsitz eröffnet werden, der mit Juni ausläuft. Von den fast drei Dutzend Kapiteln ist bisher ein Gebiet abschließend bewertet worden: Forschung. Vierzehn Bereiche sind geöffnet, doch einige Verhandlungskapitel sind wegen Zypern blockiert, das von Ankara nicht anerkannt wird. Allerdings werden auf der geteilten Mittelmeerinsel derzeit intensiv Gespräche über eine Wiedervereinigung geführt. Sollten sie in den kommenden Monaten Fortschritte bringen, könnte diese Blockade der EU-Verhandlungen mit Ankara obsolet werden.

Nun geht es aber zunächst einmal um die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens. Dafür sind noch Änderungen in der griechischen und türkischen Gesetzgebung nötig. So sind Schutzmechanismen für die Asylwerber zu verankern. Dass sie Migranten jedenfalls aufhalten kann, demonstrierte die Türkei noch am Freitag. Die Küstenwache fing rund 3000 Menschen ab, die auf dem Weg zur griechischen Insel Lesbos waren.