Britische Wähler haben alle Vorhersagen Lügen gestraft: Suche nach den Ursachen.
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London/Wien. Die Briten staunten nicht schlecht, als knapp nach Schließen der Wahllokale um 22 Uhr (Ortszeit) die ersten Exit Polls auf einen überdeutlichen Mandatsvorsprung der Konservativen hinwiesen. "Ich esse einen Hut, wenn die Exit Polls der BBC stimmen", twitterte der Paddy Ashton von den Liberaldemokraten (LDP), der von der sich abzeichnenden Labour-Schlappe ebenso überrascht wurde wie der Rest der Welt. Er wird den Hut schlucken müssen.
Nicht die Exit Polls haben versagt, sondern die Meinungsumfragen. Sämtliche renommierte Institute für Wahlumfragen hatten Wochen hindurch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen David Camerons Konservativen und Edward Milibands Labourpartei vorausgesagt. Dass die Tories gar die Absolute schaffen, lag jenseits des Denkbaren. Nun müssen sie sich die Frage gefallen lassen, wie ein derartiges Prognosedebakel passieren konnte. "Die Wahlergebnisse wirft für uns Meinungsforscher ernste Sachverhalte auf. Wir werden uns unsere Methoden genau ansehen", räumte ein Mitarbeiter des Instituts Populus in seinem Tweet ein. Auch Stephan Shakespeare, der Leiter von YouGov, einem der Pioniere von Internet-Umfragen, leckt seine Wunden. "Eine schreckliche Nacht für uns Meinungsforscher. Ich entschuldige mich für die miserable Leistung. Wir müssen die Ursache herausfinden." Etwas ist bereits sicher: Die Online-Umfragenlagen genauso falsch wie die Telefonbefragungen.
Traditionelles Tory-Schämen
Eine plausible Erklärung für die Kluft zwischen Wahlumfrage und Wahlverhalten nennt die britische Politologin Melanie Sully die "schweigenden Tories" - die Tatsache, dass sich konservative Wähler in Befragungen nicht immer zur ihrer Partei bekennen.
Es sei einfach nicht so "in", die Tories zu wählen, sagt Sully zur Begründung. "Labour hat natürlich ein sympathisches Image - sozial, für arme Menschen", während den Konservativen stets "dieses eiserne Image" anhafte. Dafür spricht, dass sich neben den Umfragedaten für die schottische SNP auch jene für die Liberaldemokraten und für rechtspopulistische Ukip als deutlich treffsicher herausstellten als für die beiden Großparteien - obwohl die Methodik dieselbe war.
Dass Labour vor der Wahl besser dasteht als am Wahltag selbst, hat in Großbritannien schon Tradition. Seit dem Jahr 1992 schnitt die Arbeiterpartei in vier von fünf Parlamentswahlen schlechter ab als bei den vorangegangenen Umfragen. Eine einzige Ausnahme war die Wahl im Jahr 2010, als sich Labours damalige Unpopularität bereits in den Meinungsumfragen klar niederschlug.
2015 hatten acht von neun führenden Meinungsforschungsinstituten bei der letzten Umfrage vor dem Wahltag am Donnerstag das Abschneiden Labours überschätzt - und sämtliche neun das der Tories unterschätzt.
Das Wahlergebnis sei jedenfalls eine "Blamage für die Meinungsforscher", die zwar das Resultat in Schottland recht genau vorhergesagt hätten, auf nationaler Ebene aber "völlig falsch gelegen" seien, sagt Sully. "Diese sehr bunte Parteienlandschaft hat es offenbar sehr schwierig gemacht".
Überraschungscoup 1992
So mancher Brite fühlt sich inzwischen an das Debakel von April 1992 erinnert. Damals hatten die Meinungsforschungsinstitute und mit ihnen die Medien mit Pauken und Trompeten einen Machtwechsel angekündigt. "Jetzt ist Neil Kinnock an der Reihe", frohlockte Labour-Politiker Bryan Gould voreilig. Premierminister John Major und seine regierende Tory-Partei wurden schließlich mit absoluter Mehrheit wiedergewählt - der damalige Labourchef Neil Kinnock, ob seines angekündigten Wahlsieges schon in euphorischer Feierstimmung, trat zurück. Auch damals hatten die britischen Wähler offenbar ihre wahren Präferenzen nicht preisgegeben. Oder es sich im Wahllokal noch anders überlegt. 1992 deuteten auch die Exit Polls noch auf einen Labour-Sieg hin. Die nach der Stimmabgabedurchgeführte Wählerbefragungen an diesem Donnerstag nahmen hingegen das Resultat richtig voraus - zumindest dem Trend nach: 316 Mandate für Cameron, 239 für Miliband. Letztendlich wurden es - laut vorläufigem Endergebnis - 331 Mandate für die Tories und 232 für Labour. Befragt wurden für die Exit Polls 2015 in der Wahlnacht rund 20.000 Wähler vor 140 Wahllokalen, für welche Partei sie gestimmt haben. Offenbar waren die Tory-Wähler diesmal zumindest nach der Stimmabgabe eher bereit, sich zu ihrer Parteipräferenz offen zu bekennen.