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Wer die Bilder von den Tausenden Feiernden auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv vom Montagabend gesehen hat, mag glauben, daß hier der relativ neue Politiker Ehud Barak einen überwältigenden Sieg | errungen hat. Die Realität ist freilich, daß der mediengewandte und trickreiche Benjamin "Bibi" Netanyahu eine fast unglaubliche Niederlage erlitten hat. Das Motto vieler Israelis · "nur nicht Bibi" | · war erfolgreich. Sein Nachfolger Ehud Barak hat viele Probleme zu lösen und wenig Zeit dafür. Und er muß mit einer mächtigen orientalisch-religiösen Shas-Fraktion leben lernen.
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Barak ist das hebräische Wort für "Blitz" und wie ein Blitz aus gewittriger Schwüle entwickelte sich in den letzten Wochen Ehud Baraks Sieg bei den Wahlen in Israel. Der wenig charismatische 57-
jährige, dem man nachsagt, er gebe seinen Gesprächspartnern gern das Gefühl, ihnen intellektuell überlegen zu sein, der Mann, der privat gern Klassik auf dem Klavier spielt und angeblich gern Uhren
zerlegt, nur um sie wieder zusammensetzen zu können, Ehud Barak, Kind osteuropäischer Einwanderer und im Kibbuz aufgewachsen, der wegen Tapferkeit höchstdekorierte Soldat in der Geschichte der
israelischen Armee, wird all seinen Intellekt und seine Tapferkeit brauchen, um eine Quadratur des Kreises zustande zu bringen.
Das Ergebnis der Wahlen in der Knesset, dem israelischen Parlament, zeigt deutlich, daß Baraks eigene Arbeiterpartei und die beiden anderen, die mit ihr gemeinsam die Wahlplattform "Ein Israel"
gebildet hatten · David Levy's "Gesher"-Fraktion und die friedensorientierten religiösen "Meimad"-Leute keineswegs einen überwältigenden Sieg verbuchen können. Die drei Gruppierungen gemeinsam
erhalten 27 Sitze in der Knesset, weniger als die Arbeiterpartei bisher allein innehatte. Der Likud sank freilich noch tiefer in der Wählergunst: er wird nur noch 19 Sitze besetzen können.
Großer Sieger Shas-Partei
Der große Sieger der Wahlen heißt Shas. Shas wird zumindest 17 Sitze in der Knesset erhalten. Es wird schwierig sein, an einer so großen Partei vorbeizukommen, ohne sie in die Regierung
einzubinden. Das freilich hat Barak bereits versprochen: er wolle nicht mit Shas verhandeln, solange deren wegen Bestechungsgeldannahme und Amtsmißbrauch rechtskräftig zu vier Jahren Gefängnis
verurteilte Führer Arie Deri ist. Ein Versprechen, das Barak zögernd noch vor der Wahl gegeben hatte und erst nach einigem Druck von linker Seite. Shas ist zuversichtlich, daß Barak nun auf allen
Vieren gekrochen kommen und sein Wort zurücknehmen werde.
Rein rechnerisch geht sich die Bildung einer Regierung ohne Shas und andere fundamentalistische religiöse Parteien aus, aber klug wäre eine solche Entscheidung nicht. Barak hat auch in seiner ersten
Rede, die er gegen zwei Uhr morgens nach Bekanntwerden abgesicherter Wahlergebnisse vor Tausenden, vor allem jungen Menschen auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv hielt, mehrfach betont, daß er die
nationale Einheit anstrebe. Das kann nichts anderes heißen als die Bildung einer Koalition auf breitester Basis.
Schlechter Verlierer
Nachdem Benjamin Netanyahu unmittelbar nach Verlautbarung der Wahlergebnisse seinen Rückzug von der Likud-Führung bekanntgegeben hatte und sich damit gewiß auch als schlechter Verlierer erwies,
ist der Weg für Koalitionsgespräche zwischen "Ein Israel" und dem Likud offen. Mit Sicherheit wird die viertstärkste Fraktion in der Knesset, das "Meretz"-Bündnis, in der Koalition vertreten sein. Es
war symptomatisch, daß die linken "Meretz"-Anhänger sich sofort auf dem Rabin-Platz mit den "Ein Israel"-Massen mischten. Man kennt einander aus der Friedensbewegung, die auch während der letzten
drei Jahre Netanyahu-Regierung weiter bestand. Jossi Sarid mit seinen neun Abgeordneten wird sich aber niemals in eine Koalition einbinden lassen, in der auch Shas vertreten ist.
Dan Meridor, Nummer 3 auf der Liste der neuen Zentrumspartei, deren Spitzenkandidat Jitzchak Mordechai durch seinen Rückzug in letzter Minute viel zu Baraks Sieg beigetragen hat, riet dem Wahlsieger,
die nationale Einheit nicht innerhalb der Regierung anzustreben, sondern dafür eher zu versuchen, Parteien mit Übereinstimmungen im Programm zu finden. Die Zentrumspartei mit ihren sechs Sitzen ist
ein sicherer Bestandteil der kommenden Regierung. Ebenso der bekannt provokative Journalist Josef "Tommy" Lapid, der mit seiner betont gegen die Ultrareligiösen agierenden "Shinui"-Partei (Shinui
heißt "Wechsel") ebenfalls sechs Sessel errungen hat.
Das sensible Ressort des Innenministers, von dem die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft abhängt, hat Barak schon vor den Wahlen angedeutet, der Partei der russischen Einwanderer, "Israel Be'Aliya" zu
übertragen. Natan Sharanski machte am Wahlabend auch kein Hehl daraus, daß er mit seinen sieben Sitzen problemlos aus seiner jetzigen Koalition mit dem Likud in eine solche mit "Ein Israel" wechseln
könne.
Zählt man nun all die nichtreligiösen ·, ohne die arabischen Parteien zusammen · ergeben sich in der Knesset 60 Sitze für Baraks Regierung. Für eine Mehrheit braucht er entweder den Likud (für 79
Sitze) oder eine religiöse Partei oder die Arabischen Parteien. Koalitionspartner sein, heißt in Israel natürlich immer auch, einen Ministersessel zu bekommen, bzw. auf rund vier bis fünf
Knessetsitze einen Minister. Israels Regierung hat aber nur 18 Minister und Barak wird nicht den Fehler von Netanyahu wiederholen wollen, daß er in seinem Kabinett keine sichere eigene Basis hat. Je
mehr Koalitionspartner, desto mehr Ministersessel werden gebraucht.
Schwierige Aufgaben warten
45 Tage hat der neue Premierminister Zeit, seine Entscheidungen zu treffen. Und dann spätestens beginnen die großen Aufgaben: Wiederaufnahme der eingefrorenen Friedensverhandlungen mit den
Palästinensern, die über die letzten Jahre nicht nur besser Freund mit den USA geworden sind, sondern auch mehr Selbstbewußtsein für ihre territorialen Forderungen entwickelt haben. Auch Barak aber
wird nicht zurückgehen auf die Grenzen der UNO-Deklaration von 1947, die damals von den arabischen Staaten einstimmig abgelehnt worden war und nur jetzt wieder von den Palästinensern ventiliert wird.
Baraks Schlüsselaussage dazu: es solle keinen Krieg mehr geben in Israel.
Rückzug aus dem Libanon
Barak hat weiters versprochen und das in der Wahlnacht bestätigt, binnen eines Jahres Israels Truppen aus der Sicherheitszone im Libanon zurückzuziehen. Dieses Unternehmen kann nur gelingen, wenn
es Friedensverhandlungen mit Syrien gibt. Frieden mit Syrien ist ohne teilweise, wenn nicht gar völlige Rückgabe des Golan schwer möglich.
In Israel selbst sind rasche Entscheidungen nötig. Am Morgen nach der Wahl gab Irvin Moskowitz bekannt, daß er noch am selben Tag im Ostjerusalemer Stadtteil Ras al Amud mit den Bauarbeiten zu einem
von den Palästinensern schwer bekämpften Wohnbauprojekt für jüdische Familien samt den dazugehörigen religiösen Einrichtungen, Synagoge und Talmudhochschule, beginnen werde. Die Genehmigung stammt
noch von Benjamin Netanyahu.
Das Erziehungswesen liegt im argen, weil der religiöse Erziehungsminister Einrichtungen von Shas überproportional Mittel hat zukommen lassen und das öffentliche Schulwesen ausgehungert worden ist.
Das Gesundheitswesen bedarf einer Reform, Arbeitsplätze angesichts einer Arbeitslosenrate von 8,7 Prozent müssen geschaffen werden, die brennenden Umweltprobleme des Landes, allen voran die
Wasserversorgung und Müllentsorgung, endlich ernst genommen werden.