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Nichts macht deutlicher, dass wir keineswegs nur in einer Wirtschaftskrise leben, als die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die mit ihrer Fortdauer nicht nur die US-Küsten bedroht, sondern zur größten Umweltkatastrophe der Weltmeere heranwächst. Bisher sollen nach Schätzungen von Experten mehr als 320 Millionen Liter Öl in die Weltmeere gelangt sein. Nach dem Scheitern der spektakulär "Top Kill" genannten Versuche, das Bohrloch zu verschließen, wird die Ölquelle weiter täglich rund sechs Millionen Liter Öl ins Meer fließen lassen.
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Dies ist zwar eine Katastrophe für die Natur, aber keine Naturkatastrophe. Sie hat Verursacher und ist eine Konsequenz desselben Systems, das auch die gegenwärtige Wirtschaftskriese ausgelöst hat. Sie zeigt auch nicht zufällig ähnliche Grundmuster. Schließlich zählt es zu den grundlegenden Spielregeln erfolgreichen Wirtschaftens im Kapitalismus, Kosten, wo immer möglich, auf die Gesellschaft abzuwälzen und Gewinne zu privatisieren. Dies ist nicht der Bösartigkeit oder Habgier einzelner Kapitalisten, Spekulanten oder multinationaler Konzerne anzulasten, sondern liegt an der Funktionsweise dieses Systems selbst. Aktiengesellschaften wie BP sind geradezu verpflichtet, nach diesen Grundsätzen zu agieren, um ihren Aktionären möglichst hohe Gewinnen zu bieten. Die Aktionäre beschweren sich über dieses System auch erst, wenn Haftungsansprüche aus dem dadurch angerichteten Schaden entstehen könnten. Eine vorige Woche von Aktionären im US-Staat Delaware eingebrachte Klage gegen BP kommt zum Schluss, dass die Katastrophe den Marktwert von BP um 40 Milliarden Dollar geschmälert habe.
Dabei versuchen BP und der Bohrinselbetreiber "Transocean" derzeit nichts anderes, als sich nach den Spielregeln des Kapitalismus das Problem vom Hals zu schaffen und sich der Verantwortung zu entziehen. Während die Gewinne aus der Ölförderung längst privatisiert sind und sich daraus auch noch eine kleine Entschädigung für die Witwen der elf beim Unfall verstorbenen Ölarbeiter ausgehen wird, wird letzten Endes die Öffentlichkeit auf den Kosten der Katastrophe sitzen bleiben - auf Kosten, die nicht nur finanzieller Natur sind. Denn der Schaden, den die zigtausenden Tonnen Öl, die am Ende in die Weltmeere geflossen sein werden, für Mensch und Natur anrichten, wird sich letztlich gar nicht reparieren lassen.
Der Fall "Deepwater Horizon" demonstriert einmal mehr, dass wir derzeit nicht nur in einer Wirtschaftskrise leben, sondern in einer multiplen Krise, die Kapitalismus, Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie umfasst. Wirtschaftskrise, Klimawandel oder die Verseuchung der Weltmeere haben einen inneren Zusammenhang, der in der Funktionsweise dieses Systems liegt und es zur Überlebensnotwendigkeit macht, die Systemfrage zu stellen.
Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.