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Defizit-Krise: Portugal vom Musterschüler zum Sorgenkind

Von Hubert Kahl, Lissabon

Europaarchiv

Ein Sparprogramm folgt dem anderen, aber das Loch im Haushalt will nicht verschwinden. Portugal scheint im Defizit zu versinken. Das Land steckt in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit seinem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1986. Das Schlimmste scheint noch bevorzustehen. "2003 erreicht die Krise ihren Höhepunkt", warnt Zentralbank-Chef Vítor Constâncio.


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Aus dem Musterschüler, der mit Bravour in den erlauchten Kreis der Euro-Länder eingezogen war, ist beinahe unbemerkt ein Sorgenkind geworden. Die große Öffentlichkeit in der EU nahm davon nur wenig Notiz, denn die Haushaltsprobleme der Portugiesen gingen im Wirbel um die Defizite in Deutschland und Frankreich beinahe unter.

Portugal verstieß als erstes EU-Land gegen den Stabilitätspakt der EU und überschritt beim Budgetdefizit die zulässige Grenze von 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Lissabon brachte es in seinem Haushalt 2001 auf eine Neuverschuldung von 4,2%. Im vorigen Jahr gelang es den Portugiesen überraschend, das Defizit auf 2,7% zu senken. Ein Wunder schien vollbracht und die Rekord-Verschuldung nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen zu sein. Aber der Eindruck täuscht. Die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Jose Manuel Durao Barroso schaffte das Husarenstück nur, weil sie Staatseigentum wie das telefonische Festnetz verkaufte und so für 2002 einmalige Einnahmen verbuchen konnte. In diesem Jahr blieben solche Sondereinkünfte bisher aus, und nun überschlagen sich die düstere Prognosen. Nach Angaben der EU-Kommission wird Portugal 2003 mit einem Defizit von 3,5% und 2004 mit 3,2% die Höchstgrenze erneut überschreiten.

Dabei kann niemand der Finanzministerin Manuela Ferreira Leite mangelnden Sparwillen zur Last legen. Portugals "Eiserne Lady" lässt im öffentlichen Dienst 40.000 Stellen streichen. Um Geld in die Kasse zu bekommen, brach die Regierung das Wahlversprechen, Steuern zu senken und erhöhte die Mehrwertsteuer. Viele Portugiesen fühlen sich, wie das Nachrichtenmagazin "Visao" berichtet, vom Fiskus regelrecht ausgezogen und an das Lied "You can leave your hat on" (Du kannst den Hut aufbehalten) des Rockmusikers Joe Cocker erinnert. Aber alle Sparmaßnahmen reichten nicht aus. In den vergangenen Monaten kam nämlich noch hinzu, dass die Konjunktur abstürzte und Portugal als erstes EU-Land in die Phase der "technischen Rezession" geriet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für 2003 überhaupt kein Wachstum mehr, sondern ein Minus von 0,3%. Die Linksparteien plädierten dafür, den Stabilitätspakt einstweilen zu "vergessen" und zur Belebung der Wirtschaft neue Schulden aufzunehmen.

Der portugiesische Staat lebt mit seinen 700.000 Bediensteten seit Jahren über seine Verhältnisse. Und nicht nur das. Ihm entgeht auch ein beträchtlicher Teil der Steuern. In den vergangenen fünf Jahren summierte sich die Schuld der nicht gezahlten Steuern auf 12,7 Mrd. Euro. Mit dieser Summe ließe sich das Budgetloch doppelt füllen.