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Dehnbare Solidarität

Von Martyna Czarnowska

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In der EU-Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen wird Zusammenhalt gefordert - doch wie der aussehen soll, bleibt umstritten.


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Der Preis für die Einigkeit könnte für manche Partner ein hoher sein. Denn wenn sich die vier Visegrad-Staaten in ihrem Bemühen zur Verhinderung eines fixen Schlüssels zur Verteilung von Asylwerbern aufeinander abstimmen, könnte gerade das Land am meisten davon profitieren, das von den vier derzeit am stärksten von der Flüchtlingskrise betroffen ist: Ungarn. Weder die Behörden in Polen noch jene in der Slowakei oder Tschechien stehen vor so einer Herausforderung wie die ungarischen. Vergleichbar hoch ist unter den Osteuropäern aber die Ablehnung einer Quotenregelung, wie sie von der EU-Kommission vorgeschlagen und von Ländern wie Deutschland unterstützt wird.

Doch zeichnet sich bereits ab, dass die Situation in Ungarn in den Plänen der Brüsseler Behörde mehr als bisher berücksichtigt wird. Sollten durch die Umsiedlung von 40.000 Schutzsuchenden zunächst einmal Griechenland und Italien entlastet werden, werden die Maßnahmen, die Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nächste Woche präsentiert, wohl auch Ungarn umfassen. Wird dieser Notfall-Mechanismus auch für das mittelosteuropäische Land wirksam, müsste dieses nicht zusätzliche Asylwerber aufnehmen, sondern könnte deren Zahl sogar verringern. Dann müssten sich andere EU-Staaten um die Menschen kümmern, von denen mehr kommen werden als 40.000. Von 100.000 bis 120.000 zusätzlichen Plätzen, die in der EU gefunden werden sollen, ist bereits die Rede. Die Solidarität, die die Mitglieder der Visegrad-Gruppe untereinander ausgemacht haben, wird dann auf eine neue Probe gestellt. Werden die Regierungen Polens, Tschechiens und der Slowakei weiterhin an der Seite Ungarns stehen und Flüchtlinge von dort übernehmen?

Dass der Begriff "Solidarität" allerdings einen weiten Interpretationsspielraum bietet, zeigt die Debatte um die Asylverfahren einmal mehr. Den europäischen Zusammenhalt fordern nicht nur Italien oder Griechenland, wo regelmäßig tausende Flüchtlinge ankommen, sondern wünscht sich auch das Kabinett in Budapest, das einen Zaun an der Grenze zu Serbien errichtet hat und den Unmut anderer EU-Staaten darüber nicht versteht. Solidarität verlangt die Regierung in Wien, die sich - mit der Begründung, schon jetzt eine Vielzahl an Asylanträgen bearbeiten zu müssen - an den Umsiedlungsplänen der Kommission nicht beteiligen will, ebenso wie jene in Warschau, die die Versorgung zusätzlicher Schutzsuchender nicht übernehmen möchte, mit dem Hinweis auf mögliche Fluchtbewegungen aus der Ukraine, von denen das benachbarte Polen betroffen wäre.

Ähnlich wie beim Tauziehen um das EU-Budget, wo einander Länder gegenüberstehen, die mehr in den Haushalt einzahlen als sie daraus zurückbekommen und solche, die mehr Geld von der EU erhalten als an Brüssel überweisen: Auch da wird die beschworene Solidarität unterschiedlich ausgelegt. Die Themen werden schon miteinander verknüpft. Wenn die Osteuropäer keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dann sollen sie halt weniger EU-Förderungen bekommen, heißt es aus Österreich und Deutschland. Dass die Westeuropäer selbst zusätzliche Mittel aus EU-Töpfen für die Aufnahme der Menschen erhalten würden, sagen sie nicht mehr dazu.