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Die Expertin und der Experte sind ein Phänomen unserer Zeit. Sie haben den lange als Idealbild geltenden Universalgelehrten schleichend abgelöst. Die Menge an Wissen ist im 20. Jahrhundert derart explodiert, dass es einem Einzelnen kaum möglich ist, auch nur einen Überblick darüber zu haben, was es alles zu wissen gäbe. Dass sich da Spezialisten herausbilden, hat seine Logik.
Doch die Entwicklung hat eine Schattenseite: Sie verunsichert Menschen. Denn es keimt im postmodernen Menschen in beinahe jedem Lebensbereich der Verdacht auf, dass es für eine zu treffende Entscheidung oder eine Situation sicher einen Experten gäbe, der kompetenter ist als man selbst. Besser einmal zu viel nachfragen. Das führt in weitere Folge zu einer Delegation von Kompetenz. Bei der Konsultation eines Architekten, Installateurs, Automechanikers oder Steuerberaters macht das Sinn. Viele Lebensbereiche sind zu komplex geworden, um sie noch selbst meistern zu können. Wer versucht hat, eine Glühbirne eines modernen Pkw zu tauschen, weiß Bescheid.
Problematisch wird es jedoch im Zwischenmenschlichen, also dort, wo wir die Kompetenz Mensch-Sein delegieren. In der Hilfe von Bedürftigen etwa, im seelischen Beistand für nahestehende Menschen. In der Sterbebegleitung. Und natürlich in der Kindererziehung. In allen diesen Bereichen machen sich seit einigen Jahren Ratlosigkeit und Überforderung breit. Ratgeberliteratur boomt. Lieber einen Experten befragen als das eigene Bauchgefühl. Was wir damit Delegieren ist letztlich die Verantwortung für das eigene Leben und die Möglichkeit, es selbst aktiv zu gestalten.