In den kommenden Wochen ist für die nächsten fünf Jahre der neue Kommissionspräsident zu küren. Der EU-Rat, also die Ministerpräsidenten, schlägt ihn vor, aber das EU-Parlament muss, mit Mehrheit, sein Plazet geben. Wie es aussieht, versucht der Rat, Jose Manuel Barroso für eine zweite Amtsperiode zu installieren.
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Er sei auch dafür, und im Übrigen sei diese Frage doch nicht so wichtig, sagt Bundeskanzler Faymann. Der Präsident der EU-Kommission sei der Chef der EU-Verwaltung mit eng umrissenen Kompetenzen, der Beschlüsse von EU-Rat und -Parlament umsetzt und exekutiert.
Rein formell mag das so sein. Rein formell ist auch der Kanzler ein recht unwichtiger Minister. Er hat ein winziges Ressort. Er hat nicht das Recht, Leitlinien vorzugeben. Die Milliarden werden in anderen Ressorts eingehoben und ausgegeben. Aber jeder weiß, dass in der Praxis das Gewicht des Kanzlers ein anderes ist. Sonst hätte Faymann auf dem Weg vom Minister zum Kanzler schon einen Abstieg hinter sich.
Der "recht unwichtigen Frage" des Kommissionspräsidenten widmen internationale Medien Schlagzeilen auf der Titelseite. Mit Recht. Die Kommission sorgt für die Einhaltung der europäischen Verträge, sie verhindert - wenn überhaupt jemand - Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt. Kein Rechtsakt erblickt in Brüssel das Licht der Welt, der nicht von der Kommission vorbereitet wurde. Kurz: Sie ist der Nukleus einer EU-Regierung, die verpflichtet ist, europäische Interessen zu vertreten und nicht nationale. Schon deshalb ist "das Gesicht der Kommission", ihr Präsident, von essentieller Wichtigkeit.
Paul Schulmeister hat dazu geschrieben: "Niemand soll sich täuschen über die schleichende Aushöhlung der Union. Jedes Weiter so! verbietet sich. Doch gerade Barrosos Wiederbestellung wäre ein Symbol für den Erschöpfungszustand der Union..."
Richtig. Europa braucht eine Person mit Leadership-Qualitäten an der Spitze der Kommission. Das Lavieren zwischen den nationalen Interessen im Europäischen Rat, das Jedem-recht-geben-der-zuletzt-mit-mir-spricht (diesen Opportunismus, neben anderen, sagt man Barroso nach), das genügt nicht mehr. Zu groß, zu drängend sind die kommenden Aufgaben, von der Klimaschutzkonferenz schon im Dezember bis zur Sanierung der Eurozone.
Jemand von der Statur eines Jacques Delors sollte der nächste Kommissionspräsident sein. Einem Jean-Claude Juncker, einem Guy Verhofstadt, einem Daniel Cohn-Bendit trauen ich und andere das zu. Es werden sich noch weitere finden, wenn das Rennen wieder offen ist. Aber zuvor muss der Europäische Rat aufhören, das Weiterwurschteln-mit-Barroso als europäische Politik auszugeben.
Alexander Van der Bellen ist Abgeordneter der Grünen im Nationalrat.
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