Kirchen und Klöster in der Türkei wurden beschlagnahmt und dem staatlichen islamisch-sunnitischen Religionsamt überschrieben.
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Istanbul. Sie zählen zu den ältesten christlichen Gemeinden der Welt, ihre Zahl ist wie die aller Christen im Nahen Osten zuletzt stark geschrumpft, und jetzt werden ihnen auch ihre letzten Besitztümer genommen: die syrisch-orthodoxen Aramäer oder Assyrer in der Türkei, deren Siedlungsgebiet in der südostanatolischen Region Tur Abdin liegt. Ihnen gehören dort hunderte uralter Kirchen und Klöster. Nun enthüllte die türkisch-armenische Zeitung "Agos" aus Istanbul, dass der türkische Staat in einer beispiellosen Enteignungsoperation mindestens 50 frühchristliche Monumente beschlagnahmt und dem staatlichen islamisch-sunnitischen Religionsamt Diyanet überschrieben hat; dutzende weitere Enteignungen sollen laut dem Bericht folgen. Die frühchristlichen Bauten sind damit dem Ausverkauf und möglicherweise der Zerstörung ausgeliefert.
Praktisch vor der Auslöschung
"Agos" gegenüber bestätigte das Gouverneursamt der zuständigen Provinz Mardin die Beschlagnahmungswelle, die Kirchen, Klöster, Friedhöfe und Ländereien betrifft. Damit stehen die christlichen Gemeinden Anatoliens, die ihre Existenz auf die Zeit der Apostel zurückführen und während des Völkermords von 1915 im Osmanischen Reich hunderttausende Opfer zu beklagen hatten, praktisch vor der Auslöschung. Viele Aramäer verließen ihre angestammten Siedlungsgebiete bereits in den 1990er Jahren, als der Bürgerkrieg zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat seinen Höhepunkt erreichte. Heute leben nach Angaben ihres deutschen Bundesverbandes in der EU 350.000 und in Deutschland 150.000 Aramäer. In Tur Abdin blieben nur noch 2000 bis 3000 Christen, die versuchen, ihre religiösen Stätten zu bewahren.
Zum Opfer der aktuellen Enteignungen wurde auch das berühmteste Kloster der Türkei, Mor Gabriel aus dem Jahr 397, nahe der Stadt Midyat. Die Abtei ist eine der weltweit ältesten und eine der wenigen, die seit mehr als 1600 Jahren aktiv genutzt werden. Die Kloster-Stiftung wurde selbst während der Enteignungen von Minderheitenbesitz nach Gründung der Republik Türkei 1923 gesetzlich geschützt. Kaum eine Stiftung religiöser Minderheiten in der Türkei verfügt über so umfangreiche staatliche Schutzurkunden.
Das alles soll nun offenbar nicht mehr gelten. "Mit dem Gesetz von 2002 konnten wir einige Grundstückstitel sichern, die auf den Namen unserer Stiftung lauteten, für andere lief der juristische Prozess", zitierte "Agos" den Stiftungsvorsitzenden Kuryakos Ergün. "Es war uns aber nicht möglich, alle Besitztümer einzuklagen. Gleichzeitig wurden neue Grundbücher angelegt, und die Katasterämter ignorierten die Gesetzgebung."
Enteignungswellen seit 1930ern
Filmemacherin Martina Priessner arbeitet derzeit an einem Dokumentarfilm über die Architektur der Aramäer. Sie war zufällig gerade für Dreharbeiten im Kloster, als die Nachricht über die Enteignung durch die Medien ging. "Die Stimmung war sehr bedrückt", sagt sie, "noch weiß niemand, was genau aus der Entscheidung folgt. Aber der Bischof und die Verwaltung sind sich einig, dass sie dagegen Widerspruch einlegen. Freiwillig werden sie das Kloster nicht verlassen, sondern ausharren bis zuletzt."
Der Hintergrund ist kompliziert. Nur als anerkannte religiöse Stiftung - wie im Fall von Mor Gabriel - können Kirchen in der Türkei Immobilien besitzen. Aufgrund der republikanischen Enteignungswellen wurden viele Kirchen und Liegenschaften der Aramäer seit den 1930er Jahren in Dorfeigentum überführt. Als die Dörfer der zuständigen Provinz Mardin im Zuge einer Gebietsreform 2012 zu Landkreisen aufgewertet wurden, fiel ihr Grundbesitz an das staatliche Schatzamt - ein neuer staatlicher Vorwand für eine alte Enteignungstradition.
Die Kirchen und Klöster wurden anschließend als "Gotteshäuser" dem staatlichen Religionsamt Diyanet übergeben. Die riesige Diyanet-Behörde ist allerdings de facto nur für den orthodox-sunnitischen Islam zuständig. Zudem steht das Kloster Mor Gabriel seit zehn Jahren unter dem Druck gerichtlicher Attacken angrenzender Dörfer, die, ohne Grundbuchurkunden zu besitzen, dessen Ländereien für sich beanspruchen.
Die Übertragung der zunächst 50 Immobilien an den Staat scheine "nur die Spitze des Eisbergs" zu sein. Es sei zu befürchten, dass die Jahrtausende alten Kirchen und Klöster veräußert oder in Moscheen umgewandelt würden, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Aramäer in Deutschland, Daniyel Demir.
Von 20 auf 0,1 Prozent
Einer kurzen Phase relativer Toleranz nach dem Amtsantritt der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP 2002 folgte in den vergangenen Jahren wieder ein Rückfall in die Unterdrückung der religiösen Minderheiten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts beherbergte die muslimische Türkei die größte christliche Minderheit des Nahen Ostens, die damals 20 Prozent der Bevölkerung stellte. Inzwischen ist ihr Anteil auf gerade noch 0,1 Prozent geschrumpft.
Die deutsche EU-Abgeordnete Renate Sommer (CDU) hat die Konfiszierung des aramäischem Eigentums scharf kritisiert. "Die momentanen Verstaatlichungen von jahrtausendealtem urchristlichem Kulturerbe sind absolut beispiellos", erklärte Sommer. "Ganz offensichtlich arbeitet die türkische Regierung daran, die Minderheit der Aramäer im Land nicht nur - wie schon seit Jahren - weiterhin zu drangsalieren, sondern regelrecht auszulöschen."