Schwinden der Gletscher hat dramatische Auswirkungen auf die Umwelt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Der von vielen Forschern prognostizierte Rückgang der Gletscher wird laufend von Experten aus unterschiedlichen Weltregionen bestätigt. Jüngst schlugen Forscher der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking um Li Zongxing in den "Environmental Research Letters" des britischen Institute of Physics in London Alarm: "Die Auswirkungen dieser Veränderungen sind weit ernster, als einfach die Landschaft zu ändern", wird betont, denn "Gletscher sind ein integraler Bestandteil von tausend Ökosystemen und spielen eine entscheidende Rolle in der Versorgung der Bevölkerung". Die Forscher registrierten im Pengqu-Becken des Himalaya mit seinen 999 Gletschern von 1970 bis 2001 einen Verlust von 131 Quadratkilometern Gletscherfläche, zwischen 1961 und 2008 seien in den höheren Regionen die jährlichen Temperaturen um 1,73 Grad gestiegen.
"Der Zerfall vieler kleiner Gletscher im Himalaya ist für mich besonders beunruhigend, weil diese Region als Wasserturm Asiens dient", erklärte schon im Frühjahr 2011 Veerabhadran Ramanathan, Klimaforscher an der Universität von Kalifornien in San Diego (USA). Er leitete ein Team, dessen Forschungsbericht zur Gletscherschmelze auch deshalb Aufsehen erregte, weil diesen Bericht der Vatikan veröffentlichte.
Dass verstärkte Gletscherschmelze zu Überschwemmungen und Erdrutschen führen kann, weiß man nicht nur in Asien. Im Mont-Blanc-Massiv löste sich im September 2011 ein 12.000 Kubikmeter großer Felsbrocken und stürzte donnernd ins Tal. Allein seit 2007 hat man in diesem Massiv 182 Abbrüche registriert. 2005 seien sogar 265.000 Kubikmeter Gestein abgestürzt, darunter der prägnante Bonatti-Felspfeiler, erklärte der französische Klimaexperte Ludovic Ravanel, der als Ursache eindeutig die Erderwärmung ansieht. Dass der Eisrückgang ein heißes Thema ist, zeigte sich auch unlängst beim Wissenschaftsforum Geoitalia 2011 in Turin. "Nach einer Trendwende in den 70er und 80er Jahren haben sich die Gletscher in Italien seit 1982 deutlich reduziert. Eine Beschleunigung dieses Phänomens wurde zwischen 2003 und 2006 festgestellt", erklärte Carlo Baroni, Präsident des italienischen Gletscherkomitees. Bis 2050 könnte der Adamello-Gletscher, der größte Gletscher in Italiens Alpen, verschwinden.
"Nicht alle Gletscher schmelzen", sagt der Wiener Geowissenschafter Hermann Häusler im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", einzelne, etwa in niederschlagsreicher Meeresnähe wie in Neuseeland, hätten eine positive Massenbilanz. Die meisten Gletscher aber gehen zurück, wobei es besonders gefährlich ist, wenn sich an der Stirnseite Gletscherseen bilden und diesen die vorgelagerten Moränenwälle nicht standhalten können. Verheerende Überflutungen der darunter gelegenen Gebiete sind die mögliche Folge. Im asiatischen Bhutan, so Häusler, versuche man zum Beispiel solche Katastrophen mit beträchtlichem finanziellen Aufwand durch künstliches Absenken dieser Seen zu verhindern.
Gletscherlehrpfade locken
Häusler leitet ein EU-Projekt zum Risikopotenzial der Gletscher in Europa und Zentralasien und untersucht dabei auch den mit 80 Kilometer längsten Hochgebirgsgletscher der Erde, den Inylchek-Gletscher im Tien-Shan-Gebirge in Kirgisien. Der Gletscherschwund sei bedrohlich, weil einerseits Flutwellen und Hangrutschungen eintreten können, anderseits aber langfristig in niederschlagsarmen Zonen das abfließende Gletscherwasser der Landwirtschaft fehlen könne.
In Österreich fiel die Gletscherbilanz 2009/2010 eindeutig aus: 82 Ferner gingen zurück, sieben blieben stationär, kein einziger legte zu. Im Sommer 2011 wurde neuerlich ein starker Rückgang gemeldet, am Hohen Sonnblick maß man mit 2,76 Meter Schneehöhe nur zwei Drittel des 80-jährigen Mittelwertes von 4,18 Meter. Dass es in fünfzig Jahren keine Alpengletscher mehr geben werde, wie manche Forscher meinen, hält Häusler aber für nicht realistisch. Das relativ teure Abdecken von Eisflächen, wie es bereits versucht werde, werde langfristig nicht viel bringen, vermutet er. Und es gebe auch einzelne positive Folgen: "Auf der Pasterze und am Sonnblick entstehen jetzt für den Tourismus hochinteressante Wandergebiete mit Gletscherlehrpfaden, die viele Leute anziehen. Alter Goldbergbau wird wieder freigelegt."