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Dem Himmel gehen die Namen aus

Von Eva Stanzl

Wissen

Hießen Sterne, Planeten und Asteroiden früher noch wie Götter, müssen sie sich heute mit Buchstaben und Zahlen begnügen.


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Der Jadekaiser beherrschte die Himmel. Er hatte zehn unbändige Söhne, die sich im Übermut in zehn Sonnen verwandelten, die die Erde in sengende Hitze tauchten. Um dem Treiben ein Ende zu setzen, wies er den Bogenschützen Houyi an, den Söhnen eine Lektion zu erteilen. Entsetzt über die Qualen der Menschheit auf einer verbrannten Erde, schoss Houyi neun Sonnen ab und ließ eine übrig, um den Planeten zu wärmen.

Der Jadekaiser war außer sich. Er verbannte Houyi und seine schöne Frau Chang’e aus dem Himmel und machte sie zu gewöhnlichen Erdlingen. Die Königsmutter des Westens schenkte dem Helden ein Unsterblichkeitselixier, doch sie warnte: Die Hälfte zu trinken brächte ewiges Leben auf Erden, das gesamte Elixier himmlische Unsterblichkeit. Chang’e gab der Versuchung nach. Sie trank die Flasche aus. Als verbannte Göttin endete ihre Himmelfahrt jedoch auf dem verlassenen Mond. Als Gefährten schenkte der Jadekaiser der einsamen Mondgöttin den unsterblichen Jadehasen - ein Wesen von beispielloser Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft. Aufrichtige Menschen, die zum Mond schauen, können dort die Umrisse des Himmelstieres sehen.

"Jadehase" und andere himmlische Wesen

So lautet eine Version des Mythos, dessen Namen Chinas historische Raumfahrtmission zur Rückseite des Mondes trägt. Die Raumfähre "Chang’e 4" oder "Mondgöttin" landete am 3. Jänner auf dem Trabanten. Ihr Forschungsroboter, "Yutu 2" oder "Jadehase 2", erkundet den Kármán-Krater auf dem Mond-Südpol.

Die Chinesen sind nicht die Ersten und sie werden auch nicht die Letzten sein, die Raumfahrtmissionen, Mondkrater und Himmelsobjekte nach ihren Vorstellungen denotieren. Auf jeden Fall werden sie den Multi-Kulti-Kosmos der himmlischen Namen bereichern. "Apollo" heißt einer der größten Krater auf dem Erdtrabanten. Die geologische Formation in der südlichen Hemisphäre auf der Mondrückseite wurde 1970 nach dem Apollo-Programm der Nasa benannt, das Menschen auf den Mond brachte. Modell stand der von 1961 bis 1972 laufenden Mission der Gott des Lichts, der Heilung, der Weissagung und der Künste der griechisch-römischen Mythologie.

Schon in der Altsteinzeit beobachteten die Menschen den Himmel. Er brachte Tag und Nacht, Sonne, Regen und Jahreszeiten und zeigte sich nachts von winzigen Punkten erleuchtet. Bereits die Höhlenmaler von Lascaux verewigten vermutlich die Plejaden oder das Sommerdreieck. Im Glauben, im Kosmos wohne das Göttliche, benannten sumerische Astronomen 3000 vor Christus Sonne, Mond und fünf Planeten nach ihren wichtigsten Göttern. Nach den Griechen projizierte der römische Dichter Ovid in den Verwandlungssagen Helden als Sternbilder auf den Himmel.

Die Römer tauften die Planeten des Sonnensystems nach ihren Göttern. Mars ist der Kriegsgott, sein höchster Berg Olympus Mons der Sitz der Götter. Venus ist die die Göttin der Schönheit. Merkur rast als Götterbote durchs All. Jupiter ist nach dem Göttervater benannt, da er als größter Planet am hellsten erscheint.

Die mythische Namensgebung hielt sich: Der Erfinder des Fernrohrs, Galileo Galilei, beobachtete 1612 Neptun, hielt ihn aber für einen Fixstern. Erst der französische Mathematiker Urbain Le Verrier errechnete 1846 seine Bahn. Da "Le Verriers Planet" nur in Frankreich Gefallen fand, schlug dieser in alter Tradition den römischen Wassergott Neptun vor. Amateur-Astronom Wilhelm Herschel wurde durch die Entdeckung des Uranus zum Berufsastronomen. Es entstand eine 60 Jahre dauernde Debatte um dessen Benennung. Herschel war für Georgium Sidus zu Ehren des englischen Königs Georg III., doch 1850 setzte sich Saturns Vater Uranus durch.

Im siebenten Jahrhundert wich das Oströmische Reich vor der arabischen Expansion zurück. Die Araber übernahmen wissenschaftliche Zentren von Byzanz. Während in Europa dunkelstes Mittelalter herrschte, kartierten arabische Astronomen den Himmel. Neben griechisch-römischen Namen für Planeten, Sterne und Galaxien (Andromeda, Kassiopeia) bürgerten sich Bezeichnungen wir Aldebaran ("der Nachfolgende") für den Zentralstern des Sternbilds Stier ein und Beteigeuze ("Hand der Riesin") für einen Stern vom tausendfachen Durchmesser unserer Sonne im Orion. Die Araber veränderten antike Namen. Als sie mit der Eroberung Spaniens ihr Wissen wieder zurück nach Europa trugen, wurden Übersetzungsfehler gemacht.

Um etwas Prosa in das mythisch-poetische Chaos zu bringen, erarbeitete die Internationale Astronomische Union (IAU) ab 1919 systematische Benennungssysteme. Heute ist die Behörde mit Sitz in Paris die Namensgebungsautorität für Himmelsobjekte. Die Aktivität privater Firmen, die ihren Kunden "einen Stern, der deinen Namen trägt" verkaufen, schlägt sich dort aber nicht zu Buche.

Mit immer lichtstärkeren Teleskopen wurden immer mehr astronomische Objekte sichtbar. Die IAU führte Katalog-Bezeichnungen ein. Anfangs waren das beliebige Nummern und Kombinationen von Sternbildnamen mit griechischen Buchstaben. Heute werden fast täglich neue Himmelskörper entdeckt. Allein am sichtbaren Nachthimmel brauchen zwei Billionen Galaxien, deren Sonnen, Monde, Sterne, Asteroiden und Kometen Namen. Computer erstellen mit Daten von hochauflösenden Teleskopen moderne Kataloge. Anhand der Positionen am Himmel verteilen sie Buchstaben-Nummern-Kombinationen mit auf sperrige Weise präzisen Ergebnissen. Die Bezeichnung "SDSSp" etwa verweist auf ein "preliminary object" im "Sloan Digital Sky Survey", die Nummer J153259.96-003944.1 auf die Himmelskoordinaten.

Aus himmlischer Dichtkunst wurde somit Mathematik für Digital-Experten. "Jadehase 2" wäre vermutlich recht einsam, müsste er tiefer ins All vordringen. Nur die Sternschnuppen wären ihm gute Gesellen. Sie werden nach der Richtung benannt, aus der sie zu kommen scheinen - meistens. Die Italiener nennen die Perseiden nämlich auch "Tränen des Heiligen Laurentius" nach dessen Festtag am zehnten August.

Stiller Ozean und Meer der Heiterkeit

Auch der Mond dreht sich in analoger Poesie. Dort finden sich das Mare Tranquillum - der Stille Ozean - und das Mare Serenitas - Meer der Heiterkeit. Die Mondkrater, von denen allein auf der erdzugewandten Seite 300.000 gezählt wurden, sind zum Großteil nach Wissenschaftern und Philosophen benannt. Weswegen hier nicht nur Plato, Archimedes und Aristoteles, Schrödinger, Schwarzschild und Humboldt zu Hause sind, sondern auch Werner und Franz. Der deutsche Mathematiker und Astrologe Johannes Werner (1468-1522) entdeckte einen Kometen, der ebenfalls deutsche Astronom Julius Franz (1847-1913) studierte die Mond-Topographie. Theodore von Kármán (1881- 1963) den "Jadehase 2" erkundet, war ein ungarisch-amerikanischer Physiker. Er gilt als Pionier der Aerodynamik und der Raketenforschung.