Zum Hauptinhalt springen

Dem Krabbeltier spinnefeind

Von Alexia Angelopoulou

Wissen

Nicht zwei haarige Beine, gleich acht hat das Untier. Links und rechts stehen sie ab vom fetten Leib, und je schneller die Spinne krabbelt, desto größer der Ekel. Fünf bis zehn Prozent der Deutschen leiden unter Spinnenangst. Ein Psychologenteam an der Universität Tübingen erforscht nun in einer Langzeitstudie Therapiemethoden, die die Ängste vor dem harmlosen Langbein lindern sollen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Clou dabei: Die Patienten werden nur in Gedanken mit ihrem Horror konfrontiert. "Eigentlich ist die Konfrontation mit echten Spinnen eine sehr effektive Therapiemethode sofern sie vom Fachmann durchgeführt wird", erläutert der Leiter des Projekts, Diplompsychologe Patrick Pössel. Aber: "Spinnenphobiker wollen ihre Angst nicht erleben. Sie müssen ja nicht, denken sie, und gehen deshalb gar nicht erst in Therapie." Pössel setzt auf die Fantasie der Betroffenen, denn die haben nicht Angst vor der Spinne selbst, sondern vor ihren eigenen Vorstellungen. Sie fürchten, dass das Tier ungehindert auf ihrem Körper herumkrabbeln oder zubeißen könnte.

Bei der Studie haben die Teilnehmerinnen fünf Tage lang jeweils eine Stunde Zeit, sich auszumalen, was geschehen könnte. Jede muss sich auf einen Stuhl setzen und entspannen. Dann wird ihr im Detail beschrieben, wie eine Handteller große Spinne sich aus fünf Meter Entfernung auf sie zu bewegt, im Hosenbein verschwindet, die Wade hoch und wieder herunter krabbelt, bis sie schließlich erneut auf ihrem Ausgangspunkt in fünf Meter Entfernung lauert.

Nichts ist passiert und doch wird die Teilnehmerin ein Stück weit desensibilisiert. Für die Studie teilen Pössel und sein Team die Frauen in drei Gruppen ein. Zwar nimmt die imaginäre Spinne in jeder Gruppe den gleichen Weg, doch Pössel schafft zusätzliche Bedingungen, die den Frauen helfen sollen, ihre Angst zu überwinden.

Auf welchem Wege dies passieren soll, darf er nicht verraten: "Sonst wüssten die Teilnehmerinnen, was sie zu erwarten haben, und würden nicht mehr natürlich reagieren." Später wird im Labor anhand von Speichelproben untersucht, wie erfolgreich die Maßnahme war. Getestet wird unter anderem der Kortisol-Wert, ein Indikator für Stresssituationen, der nach der Behandlung niedriger sein soll als zuvor. Um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, dürfen bei der Studie nur Nichtraucherinnen mitmachen, die keine Hormonpräparate oder Medikamente einnehmen. Und warum nur Frauen? "Sie stellen die weitaus größere Gruppe der Spinnenphobiker", sagt Pössel. Ein bisschen Angst reicht zur Teilnahme jedoch nicht aus. "Die meisten Menschen mögen keine Spinnen. Aber erst wenn die Angst so schlimm ist, dass jemand sein Leben einschränken muss, spricht man von Phobie", sagt Pössel.

So berichtet eine Frau, dass sie im Frühjahr nie das Haus verlasse. Sie könne es nicht ertragen, die Fäden frisch geschlüpfter Spinnen auf der Haut zu spüren. Andere überwinden ihre Angst nur mit einer Dose Insektenspray in der Hand - Gänsehaut, Schweißausbrüche und Herzrasen inklusive.

Pössel zufolge ist der Grund dafür evolutionsbedingt. "Um zu überleben, mussten die Menschen lernen, sich zu fürchten. In der Steppe einen Löwen auszumachen, war keine Schwierigkeit. Mit Spinnen und Schlangen sah es da schon anders aus." Und so imitieren heute noch Kinder das Verhalten Erwachsener, die sich vor Spinnen ekeln.

Mit seinen Patientinnen hat Pössel bisher gute Erfahrungen gemacht, auch wenn er Heilung nicht garantieren kann. "Zumindest ist noch keine schreiend rausgerannt oder nicht wieder erschienen", sagt er. Auch berichteten die meisten Frauen, nach der Behandlung sei es besser geworden mit der Angst. Pössel warnt jedoch: Wer sich nach erfolgreicher Therapie in freier Wildbahn weiterhin von Spinnen fern hält, bei dem kann die Angst wieder kommen. AP

Infos im Internet: http:// www.uni-tuebingen.de/uni/sii/, http://www.christoph-dornier-stiftung.de/, , http://www.dgppn.de, , http://www.dgvt.de/, http://www.bdp-verband.org/