Großer Unmut im Gecko-Gremium über Entscheidungen der Politik ohne Einbindung der Experten.
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Seit gerade drei Monaten gibt es Gecko. Und schon knirscht es in der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination. Und zwar gar nicht so wenig. Am Freitag könnte es Abgänge aus dem Gremium geben, wie die "Wiener Zeitung" erfuhr. Mitglieder überlegten im Vorfeld der für Freitagnachmittag angesetzten Sitzung des Beratergremiums ihren Rückzug.
"Der Unmut ist bei manchen in Gecko groß und schließt mit ein, wie es in den letzten Wochen gelaufen ist", sagt auch der Molekularbiologe Andreas Bergthaler, selbst Gecko-Mitglied, auf Nachfrage. Das betreffe vor allem "jene Beschlüsse, die die Politik entschieden hat und die in dieser Form nicht mit Gecko abgestimmt wurden".
Die "Wiener Zeitung" hat mehrere Mitglieder von Gecko kontaktiert. Sie bestätigen Bergthaler, wenn auch in unterschiedlich starken Schattierungen. Die Einrichtung des Gremiums ist zwar auch aus Sicht der Mitglieder eine Verbesserung gewesen und die Zusammenarbeit der Experten funktioniere auch gut, jene mit der Politik aber weniger.
Entscheidungen ohne Rücksprache
Für Knirschen bis Krachen hatten zuletzt besonders drei Entscheidungen gesorgt: die Öffnungen vom 5. März, der Fall der Masken in den Schulen und diese Woche nun die neue Testregelung. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hatte am Dienstag eine Kontingentierung der kostenlosen Tests verkündet.
Rauch tat das in einer Pressekonferenz drei Tage vor der Gecko-Sitzung am Freitag. Die Kommission selbst wurde zuvor nicht konsultiert, wie aus dem Gremium zu hören war. Gecko werde von der Bundesregierung nur zu bestimmten Dingen befragt, "im Zweifelsfall aber gar nicht", sagt ein Mitglied. Darüber herrsche sowohl in Gecko, als auch in anderen wissenschaftlichen Beratungsgremien der Regierung Ärger.
Rauch mag die neue Testregelung als politischen Erfolg für sich verbuchen. Denn die ÖVP, insbesondere in Form von Finanzminister Magnus Brunner, wollte aus Kostengründen noch weiter vom Gratistesten abgehen. Die Reduktion der Tests war also ein Kompromiss. Gecko-Mitglieder sahen diesen aber keineswegs so positiv. "Eine ‚Teststrategie‘ ist das nicht", sagt ein Mitglied, "es ist ein politischer Deal ohne wissenschaftliche Evidenz". Für eine Strategie hätten konkrete Ziele formuliert werden müssen. Dass die Fachleute seit Wochen eine neue Teststrategie fordern, aber keine käme, sei schon als "Beratungsresistenz" zu bezeichnen.
Ein weiteres Thema, das bereits länger für Unmut sorgt: Mehrere Gecko-Mitglieder wollen seit Wochen an einem Fahrplan für den Herbst arbeiten. Es müsse rechtzeitig eine nachvollziehbare und evidenzbasierte Strategie entwickelt werden, wie mit einer zu erwartenden neuen Corona-Welle im Herbst umzugehen sei. Dem Vernehmen nach ist das für mehrere Mitglieder die Voraussetzung, um dem Gremium weiter anzugehören. Bisher erging aber noch kein Mandat an Gecko, eine solche Strategie auszuarbeiten.
Entscheidend zum aktuellen Groll von Gecko-Experten haben aber bereits die breiten Öffnungen am 5. März beigetragen, mit denen - abgesehen von Wien, das weiter einen strengeren Kurs verfolgt - in ganz Österreich fast alle Corona-Maßnahmen auf einmal fallengelassen wurden. Mehrere Forscherinnen und Forscher der Gecko-Kommission hatten sich aber im Vorfeld deutlich dagegen ausgesprochen, auf einen Schlag so breit zu öffnen. Insbesondere den Wegfall der Maskenpflicht in Innenräumen kritisierten prominente Mitglieder auch öffentlich. Die Politik entschied dennoch entgegen der Empfehlung der Fachleute - offenbar in Berücksichtigung anderer Interessen wie etwa von Wirtschaftsvertretern und mit Blick auf die Popularität breiter Öffnungen in weiten Teilen der Bevölkerung.
Reputation der Fachleute steht auf dem Spiel
Mehreren Gecko-Experten stößt besonders sauer auf, dass die Politik die Kommission häufig inszeniere, als würde Gecko die Entscheidungen treffen, ist von Mitgliedern zu hören. Tatsächlich entscheidet aber die Politik - was in der Natur der Sache liegt: Es ist Aufgabe der gewählten Volksvertreter, Verantwortung für politische Entscheidungen zu übernehmen, bei denen legitimerweise auch verschiedene Faktoren und Interessen abgewogen werden. Die Gecko-Kommission hat hingegen ein wissenschaftliches Mandat und wurde ausdrücklich als Beratungs-, nicht als Entscheidungsgremium gegründet.
Kritisiert wird in der Kommission aber vielfach, dass Politiker das Expertengremium dazu nützten, um sich hinter ihm zu verstecken. Bei unpopulären Entscheidungen ebenso wie bei solchen mit ungewissen Auswirkungen. Wenn entgegen den Ratschlägen der Fachleute entschieden wird, sollten die Regierungsvertreter zudem transparent kommunizieren, warum die Entscheidung anders ausfiel, wird gefordert. Ebenso sollte offengelegt werden, wenn Gecko für eine Entscheidung gar nicht erst befragt wurde.
"Die Mitglieder setzen in Gecko ihre eigene Reputation ein", sagt jemand, der den Sektor gut und lange kennt. Deshalb würden sie immer öfter selbst aktiv an die Öffentlichkeit gehen, um deutlich zu machen, dass ihre eigene Einschätzung von der politischen abweicht. Auch darum wird es in der Sitzung am Freitag gehen. Der neue Gesundheitsminister hat sich auch angesagt, er wird wohl kalmieren müssen.